Montag, 21. Juni 2010

Mehr als die Summe

Buchbesprechung Bennett, Christopher L.: Mehr als die Summe. Cross cult, 2008/2010.

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Story: Die USS Rhea NCC-80110, ein Schiff der Luna-Klasse erkundet einen eher unspektakulären Sternenhaufen namens NGC-6281. Die triste wissenschaftliche Mission wird durch einen unerwarteten Erstkontakt belebt, mit dem eigentlich niemand gerechnet hätte: Ein Außenteam stößt auf die Avatare einer mächtigen Entität, die zur Kommunikation im herkömmlichen Sinne jedoch nicht fähig zu sein scheint.
Die traute Intimität dieses Erstkontakts wird jedoch durch den plötzlichen Besuch alter Bekannter zerstört: Die Borg.
Im Nu entern die noch radikaler gewordenen Maschinenwesen das Schiff und greifen sogar das Außenteam an. Einer nach dem anderen wird entweder dahingemetzelt oder vom Kollektiv einverleibt. Doch dann geschieht ein Wunder: Ein Mitglied des planetaren Erkundungsteams wird zwar assimiliert, findet sich allerdings wenig später auf einem Planeten im Föderationsraum wieder: nackt, frei von Naniten und vollkommen ratlos.
Aber die Sternenflotte reagiert prompt. Sie erkennt, dass hier eine Technologie im Einsatz war, die so hoch entwickelt ist, dass sie selbst die Begehrlichkeiten der Borg wecken muss, denn nach dem Ausfall ihres Transwarpkanalnetzes müssen solche Möglichkeiten äußerst verlockend sein.
Also schickt Admiral Nechayev ihr bestes Pferd ins Rennen: Jean-Luc Picard, Ausgemachter Borgexperte, verdienter Kommandant und frisch gebackener Ehemann.
Als sein Schiff, die USS Enterprise NCC-1701-E endlich im Krisengebiet eintrifft, ergibt sich ein viel größeres Problem: Die unbekannte Intelligenz ist nicht nur mächtig, sondern auch viel eher in der Lage, den Lebensstil der Borg nachzuvollziehen, als den von Individuen, die sich durch Fortpflanzung reproduzieren. Für das Wesen sind die Maschinenwesen und die Menschen eher so etwas wie zwei miteinander balgende Kätzlein, die es davor bewahren möchte, einander Schaden zuzufügen. Das Ausmaß der Bedrohung sieht es nicht so deutlich wie Picard und seine Crew, selbst dann nicht, als die Borg wieder auftauchen, um das fremde Know-How endgültig zu assimilieren...



Amok Time: Wer ist die Föderation, wer die Borg?

Lobenswerte Aspekte: Der Name Christopher L. Bennett zählt zusammen mit denen seiner Kollegen David Mack oder Stephani Darnelle Perry zu jenen, die sich definitiv lohnen, im Hinterkopf zu behalten. Bereits sein Titan-Roman „Die Hunde des Orion“ war das bislang lesenswerteste, was die Reihe zu bieten hat und brachte aufregend frischen Wind in die Star-Trek-Literatur.
Mit Bennett erreicht die Serie eine neue Qualitätsstufe, die sich in verschiedenen Aspekten zeigt.
So ist die Handlung mitnichten ein müder Abklatsch bereits zuvor endlos zerkauter Ideen. Nun kann man zwar auch nicht sagen, dass die Geschichte um den natürlichen Supercomputer in Planetenform jetzt ganz weit weg von der bereits in „Die Hunde des Orion“ propagierten Weiterentwicklung kosmozoanen Lebens entfernt ist, doch immerhin ist die Idee ein Exkurs in eine völlig andere Richtung, die nicht ohne Reiz ist und in bester Star-Trek-Tradition tatsächlich der Vorgabe Folge leistet, „ [...] neue Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen.“.
Hinzu kommt, dass dieses Konstrukt nicht auf tönernen Füßen steht, da ganz besonders die wissenschaftliche Einordnung dieses Gedankens durch den Autor sehr solide wirkt (vgl. S. 13f.).
Neben der entstaubten Handlung muss man auch die Tatkraft Bennetts hervorheben, die er insbesodere bei den Charakteren zeigt. Der Nachwuchsschreiber mistet nämlich ordentlich aus!
Schluss mit halbgaren Reizfiguren wie T'Lana (vgl. S. 62ff.) oder seelenlosen Kopien bereits etablierter Charaktere (S. 58ff.) wie Leybenzon! Bennett holt für seine Vorgänger Decandido und David die Kohlen aus dem Feuer und scheut sich nicht, zu einem so radikalen Schritt wie der Verbannung aus der TNG-Relaunch-Reihe zu greifen. Was im Gegenzug jedoch nicht bedeuten soll, dass er dies nicht einfühlsam in die Wege leitet. T'Lana erhält Gelegenheit, ihren Frieden mit Picard zu finden (vgl. S. 78ff.) während der eher militante Leybenzon ein passendes Ende findet (vgl. S. 312f.). Sein sinnloser Tod relativiert den vermeintlichen Erfolg der gesamten Mission macht die Geschichte erst so richtig rund. Die große Tragik dieses Moments ist in meinen Augen der wirklich gelungener Paukenschlag zum Schluss.
Eine neue Garde interessanter Charaktere steht bereits in den Startlöchern. Mit Jasminder Choudhury und Dina Elfiki führt er zwei neue Offiziere ein, die er in Zusammenarbeit mit David Mack entwickelte (vgl. S. 318). Dabei nimmt er wenig Rücksicht auf die alten, verkrusteten Kommandostrukturen des Schiffes, die ab dem Tod Datas, spätestens jedoch mit dem Abschied des Ehepaares Troi/Riker ohnehin obsolet waren und dringender Neuordnung bedurften. Bennett nimmt sich genau diese Freiheit und schafft es damit endlich, der Bücherserie einen neuen Anstrich verpassen, der tatsächlich neu aussieht.
Sein unbestreitbares Meisterstück ist jedoch ohne Frage T'Ryssa. Vulkanier und Halbvulkanier kennt man ja inzwischen zur Genüge, doch jemanden als Hauptfigur einzuführen, der sich gegen die Logik und die Abkehr von Gefühlen stellt, ist so einfach wie genial. Der Charakter bereichert die Mannschaft der Enterprise so sehr, wie es seit Data niemand mehr vermochte und ihr anarchisch anmutendes Benehmen verleiht dem Buch Leben. Endlich gibt es wieder eine Identifikationsfigur in der Brückencrew, die sowohl mit Sexappeal, als auch Humor zu punkten weiß!
Erwähnenswert ist zudem auch die zumindest temporäre Rückkehr Guinans, die in diesem zweiten Neustart des TNG-Neustarts Aufbauhilfe leistet (vgl. S. 80ff. ). Sie ist, wie allerdings alle anderen etablierten Figuren auch, sehr gut getroffen und schafft ein Gefühl der Vertrautheit, obwohl auch sie keineswegs in ihrer typischen Rolle gefangen ist, sondern auch Raum erhält, einmal die 'andere Seite' kennenzulernen (vgl. S. 217ff.).
Dabei ist längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen! Konflikte zwischen Worf und Choudhury (vgl. S. 87ff.), Kadohata und T'Ryssa (vgl. S. 97ff.) oder selbst Picard und Beverly Crusher (vgl. S. 127ff.) sorgen für fortwährende Spannung und katharsische Erleichterung, wenn diese Probleme Klärung erfahren.
Zur Abwechslung liest es ferner mal ganz angenehm, dass kein Riesen-Staraufgebot aufgefahren wird, um dem Rezipienten das Gefühl zu geben, bei etwas ganz großem dabei zu sein. Abgesehen von der bereits erwähnten Bartenderin ist es lediglich die Ex-Drohne Hugh, der eine größere Rolle spielt (vgl. S. 165ff.). Ansonsten sind mit Seven of Nine und Admiral Nechayev nur eine äußerst überschaubare Menge bekannter Gesichter bemüht worden, an denen sich die Geschichte kaum aufhält.
Wer daran allerdings gleich Rückschlüsse darauf ziehen will, inwiefern die Unmengen an Hintergrundinformationen aus den vielen Serien und Filmen berücksichtigt werden, ist schief gewickelt, denn wirklich jede Serie von ENT (S. 136), TOS (S. 192), TAS (S. 163), TNG (S. 51f.), DS9 (S. 71) oder Voyager (S. 26) wird in irgendeiner Art und Weise erwähnt. Doch das gehört ja inzwischen längst zum guten Ton innerhalb der jüngeren Star-Trek-Literatur, und somit ist das, was noch wirklich daran hervorzuheben ist, die Subtilität dieser Querbezüge.
T'Ryssas Unbehagen beim Beamen (vgl. S. 13), Picards und Crushers Probleme bei der gemeinsamen Nachnamensfindung (vgl. S. 30) oder der Verweis auf zurückliegende Erfolge mit dem kontrollierten Träumen (vgl. S. 147) gehen mehr oder weniger offensichtlich auf TNG-Episoden wie „Todesangst beim Beamen“, „Heute, Gestern, Morgen“ oder „Augen in der Dunkelheit“ zurück.
Natürlich lässt es sich Bennett nicht nehmen, ab und zu auf sein eigenes Werk „Die Hunde des Orion“ zu verweisen (vgl. z.B. S. 11) und die Handlungsstränge der diversen Vorgängerromane der neu gestarteten TNG-Serie werden ebenfalls eingehend beleuchtet.
Schade nur, dass andere Bücher wie „Homecoming“ (vgl. S. 51 und S. 54), „A Time for War, a Time for Peace“ (vgl. S. 58) oder das ebenfalls aus der Feder des Autors stammende „The Buried Age“ (vgl. S. 30/31) bislang noch nicht auf Deutsch erschienen sind. Einzig die Destiny-Reihe, die neben einer Kleinstreferenz (vgl. S.45) hier überhaupt erst eingeleitet wird (vgl. S. 317), wird in absehbarer Zeit bei Cross Cult erscheinen.
Tradition hat des Weiteren auch der Ansatz, offene Fragen zu klären, denn im Spannungsfeld verschiedener Serien und Autoren entstanden Widersprüche in Hülle und Fülle. Bennett führt nun seine Feldzug gegen diese Logiklöcher fort.
Und was wurde nicht alles in den letzten tausend Jahren Star Trek versaubeutelt?!
Da hätten wir zum Beispiel die alte Frage nach dem Geschlecht der Borg. Gut, das habe ich bereits in der Rezension zu „Widerstand“ und „Heldentod“ angesprochen, doch in diesem Buch wird endlich einmal ein kreativer Lösungsansatz geboten (S. 175ff.), ohne dass lediglich eine zotige Bemerkung dazu im Text platziert wird (vgl. S. 51).
Oder die Ablativpanzerung aus „Endspiel“ (vgl. S. 49)! Ich war doch sicherlich nicht der einzige, der sich gefragt hatte, warum im zehnten Kinofilm Janeway bereits Admiral ist, aber die Enterprise diese unbezwingbaren Superschilde noch nicht installiert hat!
Dieses Konzept findet seinen Höhepunkt kurz nach dem Wiedersehen mit dem alten Individualtouristen Hugh, der es sich nicht nehmen lässt, auch mal in der entlegenen Gegend vorbeizuschauen, in der Picard gerade sein Unwesen treibt. Hier wird eine ganze Wagenladung offener Fragen geklärt: Warum sah das sperrige Raumgefährt in „Angriff der Borg, Teil II“ so völlig anders aus als alle anderen Borgschiffe, die man zuvor und auch später zu Gesicht bekam (vgl. 165f.)? Warum waren die Borgkuben, denen die USS Enterprise NCC-1701-D in „Zeitsprung mit Q“, „In den Händen der Borg“ und „Angriffsziel Erde“ begegnete, so völlig anders aufgebaut, als die, derer man im Verlauf von „Voyager“ gewahr wurde (vgl. S. 172)? Wie konnte Riley Frazier aus der Folge „Die Kooperative“ bei Wolf 359 assimiliert worden sein, wenn der entsprechende Kubus in „Angriffsziel Erde“ zerstört wurde (vgl. S. 173)?
All diese und noch viele weitere Ungereimtheiten werden an dieser Stelle schier in Luft ausgelöst und Hughs Erzählungen über das Schicksal seiner Separatistenkolonie während der letzten paar Jahre gehört schon wegen seines geballten Informationsgehaltes zu einem der Höhepunkte des Werkes (vgl. S. 169ff.) und Kadohata hat nicht ganz Unrecht, wenn sie auf Seite 173, auch stellvertretend in meinem Namen, anmerkt:

Bravo. Sie tragen heute einiges zur Klärung von Dingen bei, die uns bislang ein Rätsel waren.

Das kann man so verstehen, wie es wohl gemeint war: als gepflegtes Eigenlob. Schließlich ist die konzeptionelle Arbeit dem Werk so deutlich anzumerken, dass man daran kein Zweifel mehr hegen kann.
Betrachten wir einmal exemplarisch den Beginn der Geschichte. Da wird in bewährter Manier zuerst ein Haufen sympathischer Charaktere eingeführt, und dann – Boom! - der große Knall und Aufhänger des Buches. Der klassische Einstieg ist ein gradioser Startpunkt, der den Leser fesselt und an Spannung kaum zu überbieten ist. Liefe nicht gerade die Fussballweltmeisterschaft, hätte ich das Buch unmöglich aus der Hand legen können.
Abschließend obliegt es mir, die gesamte Atmosphäre zu loben, denn der Supercomputer erinnert gleich an mehrere Star-Trek-Serien. Er kommuniziert wie „Darmok“ in Metaphern, ist so mächtig wie die Propheten und so fremdartig wie die Excalbianer. Kaum zu glauben, dass die Vorlagen aus fernöstlicher Richtung stammt (vgl. S. 319), denn außer dem Verweis auf das Noh-Theater (vgl. S. 18), Quing Long (vgl. S. 261ff.) und Origami-Drachen (vgl. S. 138), gibt es dafür nur wenige Anhaltspunkte. Vielmehr liest sich das Endergebnis wie ein internes Ideenkonglomerat, das alles repräsentiert, was Star Trek so besonders macht.

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Origami-Drachen - Schrecken oder Symbol für Star Trek?

Kritikwürdige Aspekte:Ellenlang habe ich jetzt die Vorzüge dieses Werkes präsentiert. Bleibt denn da überhaupt noch Platz für Kritik?
Oh ja!
Wir alle wissen, dass unsere biologische Uhr tickt. Beim einen leiser, beim anderen lauter. Einige Leute haben schon mal kopuliert, andere bereits plärrende Bälger in die Welt gesetzt. Somit ist die Fortpflanzung, beziehungsweise die Aufzucht von Nachkommen, ein gesellschaftlich ebenso etabliertes wie relevantes Thema.
Aber mal im Ernst: Muss man damit mehr als 300 Seiten Text füllen?
Ab und zu die Thematik aufgreifen, ist ja noch verständlich, doch wenn man Seite für Seite schmalztriefende Allegorien auf Mutterfreuden und Vaterschaftsglück lesen muss, nervt das einfach nur noch tierisch.
Und überhaupt, Picard und Crusher wollen ein Kind?
Okay, dass die beiden verheiratet sind, sehe ich ja noch irgendwo ein, doch gleich Kinder?
Eine kleine Rechenaufgabe dazu:
Das Buch endet, wie man auf Seite 5 nachprüfen kann, im Jahr 2381.
Beverly Crusher wurde laut den in „Mission ohne Gedächtnis“ kurz sichtbaren Personalakten am 13. Oktober 2324 geboren, Picard der selben Quelle zufolge am 13. Juli 2305.
Na?
Wer wie ich der Sicherheit des Taschenrechners frönte, weiß jetzt, dass Mrs. Picard 56 Lenzen zählt, während Picard immerhin auf 75 Lebensjahre zurückblicken kann.
Nun gut, McCoy ist mindestens 137 geworden, doch aus meiner vergleichsweise juvenilen Position heraus wirkt das einfach nur...
...ALT.
Wer sich, wie Picard, in seinem Leben für die Karriere und damit gegen Kinder entschieden hat, ist ebenso ein Spiegel der Gesellschaft, wie Leute, die dem Hormonzwang nachgeben. Ist Geordi, der sich dooferweise von diesem schiffsweiten Balzhabitus einlullen lässt, deswegen gleich ein Versager der sich schuldig fühlen muss (vgl. S. 205ff.)?
Selbst wenn der abschließende Aufsatz Julian Wanglers der gesamten Thematik etwas mehr Hintergrund verpasst und das Ganze besser einordnen lässt, bleibt da ein fader Beigeschmack.
Außerdem scheint Bennett die Konsequenzen nicht bis zu Ende durchdacht zu haben. Wesley bekommt einen kleinen Bruder? Und überhaupt, darf er jetzt 'Papi' zu Picard sagen?
Genauso nervend sind auch die ellenlangen Rückblicke auf die zuvor veröffentlichten Bände der Reihe (vgl. z.B. S. 31ff., S. 38f., S. 60ff. u.s.w.). Wenn ich mich schon durch jeden einzelnen davon gequält habe, muss ich nicht auch noch ständig daran erinnert werden! Zudem schaffen es diese Kurzzusammenfassungen nicht unbedingt, das Gefühl zu vermitteln, als müsse man die einzelnen Vorgänger unbedingt lesen, was durch die vielen radikalen Veränderungen ebenfalls müßig scheint.

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erfolgreicher Roman: sofort nach den Lesen erwarb Turon47 frohen Mutes dieses glückliche Kind!

Übersetzung: So ganz warm werde ich mit der Übersetzung nicht. Zwar fehlen die groben Schnitzer, die noch in „Heldentod“ dominierten, doch ich habe mir an vielen Stellen mehr Mut vom Übersetzer gewünscht, eigenverantwortlich mit dem Text umzugehen. Die Gründe dafür sollte ich vielleicht am besten an drei kleinen Beispielen erläutern.
So stößt man im englischen Original auf diesen Satz Picards:

With the Borg coming, I have to be … bloody, bold and resolute.

In der Übersetzung liest sich der Satz so:

Nicht solange die Borg uns alle bedrohen. Ich muss blutig, kühn und fest sein.“ (S. 215)

Die Trennung in zwei Sätze will ich ja gar nicht bemängeln, denn so etwas fällt unter künstlerische Freiheit. Ich finde bereits die Übersetzung von „resolute“ mit „fest“ recht fragwürdig, denn hier wären Varianten wie „energisch“, „bestimmt“ oder sogar „resolut“ günstiger eingesetzt gewesen.
Am meisten stört mich jedoch die fantasielose Übersetzung „blutig“, denn „blutig“ kann zwar das Rumpsteak sein, ein Menschen jedoch nicht. Außer er stirbt vielleicht gerade.
Hier wäre eventuell eine etwas freiere Übersetzung etwa mit „blutdurstig“ oder gar „rücksichtslos“ angemessener gewesen.
Ein anderes Problem offenbart Kadohata. In „Greater than the Sum“ sagt sie zu T'Ryssa:

I doubt that very much, love.

Übersetzt sieht der nämlich so aus:

Das bezweifle ich wirklich, Liebes.“ (S. 234)

Natürlich ist das schwierig, denn solche Einschübe sind natürlich nur unter Verlusten zu übertragen. „Liebes“ habe ich jedenfalls noch nie von irgendjemandem gehört und daher wäre es nicht weiter schlimm gewesen, wenn es einfach unter den Tisch gefallen wäre.
Das es auch anders geht, zeigt der etymologische Exkurs zur Wortbedeutung von „Sicherheit“. Der dem Englischen geneigte Leser erfährt dort, wie Choudhury Worf belehrt:

Well, it comes from the Latin cura, meaning 'to care.' Our job is to take care of people, Commander.

Übertragen in unsere Sprache liest man:

Nun es stammt von dem lateinischen Wort securus ab, das soviel wie 'vor Schaden schützen' bedeutet. Das ist unsere Aufgabe, Commander.“ (S. 89)

Hier zeigt der Autor tatsächlich einmal mutigen Einsatz, denn statt auf cura auf securus zu setzen, ist viel näher am englischen Wort security und eher an der Wurzel zum deutschen Wort, das bereits früh dem Latein entliehen wurde. Hier setzt Bernd Perplies endlich einmal auf die Eigeninitiative, die man sich von einem eigenverantwortlichen Übersetzer wünscht.
Bei all diesem Gerede von Eigenverantwortung sei jedoch auch angemahnt, dass es das Fragezeichen in unserer Sprache nicht umsonst gibt. An gleich mehreren Stellen, die durch bekannten Fragewörter wie „wovor“ (S. 146), „Warum“ (S. 156), „was“ (S. 160) „wie“ (S. 164) oder „Wenn“ (S. 217) deutlich gekennzeichnet sind, fehlt das charakteristische Satzzeichen aus unerfindlichen Gründen.

Anachronismen: Wenn es in enervierender Weise um Kinder geht, darf natürlich Wesley Crusher nicht fehlen. Aber wo ist der Sohn Beverly und Jake Crushers im Moment gerade? Zwar gestehen die frisch gebackenen Eheleute Picard dem homo superior zu, bei der Hochzeit Deanna Trois und Wil Rikers anwesend gewesen zu sein, doch noch immer wird von ihm als unnahbares Überwesen geredet, dass noch immer dem Reisenden hinterherdackelt. (vgl. S. 34ff.)
Dabei hatte er doch die Uniform eines Lieutenants an und wollte, jedenfalls in der Novellisation, noch unbedingt auf die Titan! Die Erklärungsversuche um ihn wirken umso fadenscheiniger, wenn Picard einwirft: „Diesmal dachte er Gott sei Dank sogar daran, bekleidet zu kommen.“ (S. 35).
Bekleidet sind auf einmal selbst die Borg. Jedenfalls ihre Schiffe, die sich nicht mehr ungeschützt der Kälte des Raumes und den Attacken der Angreifer preisgeben, sondern flugs die entsprechende Technik der Schutzschilde assimilierten (vgl. S. 184).
Das verwundert die Crew der Enterprise genauso wie die Leser! Noch verwundernswerter ist bei allem Respekt vor Choudhurys taktischem Können dann aber doch, dass ein Traktorstrahl das unförmige Borgvehikel so ohne Weiteres erfassen konnte (vgl. S. 185ff.) - und das gleich mehrmals.
Aber selbst Choudhorys Vorgänger an der taktischen Station bleibt nicht von Widersprüchen verschont, denn er erzählt seiner verblüfften Amtsnachfolgerin, dass der klingonische Ehrenkodex seit Kahless das Meucheln von Frauen und Kindern verurteilt, untersagt und verdammt (vgl. S. 197).
Wenn dem wirklich so ist, frage ich mich schon, warum er im Vorfeld der DS9-Episode „Das Gefecht“ ein Holosuiteprogramm über die Schlacht von Tong Vey laufen ließ, in dem er selbst den finalen Mord an den Stadtbewohnern, egal ob Frauen oder Kinder, anordnete.
Während Tong Vey von Bennett also vernachlässigt wurde, erinnerte er sich El-Aurias um so lebhafter. Wenn aber der Heimatplanet von El-Aurianern wie Soran, Guinan oder Mazur, wirklich im Delta-Quadranten lag (S. 218), dann hatten die Flüchtlinge in „Treffen der Generationen“ einen ebenso langen Weg hinter sich wie Guinan in „Gefahr aus dem 19. Jahrhundert, Teil I“, so dass man der Voyager auf einmal ernsthaft akutes Herumtrödeln bescheinigen muss.
Während Guinan sich an Hughs erinnerte, sind die Informationen der früheren Drohne über Picards Familiengeschichte erschreckend genau. Woher weiß er denn, dass Picard der letzte Ableger seines Familienstammes ist (vgl. S. 247)? Verlor Picard seine nächsten Verwandten nicht erst im siebenten Kinofilm, also weit nach der Episode „Ich bin Hugh“?
So richtig dämlich war die Gedankenverschmelzung, die die mental vollkommen unerfahrene T'Ryssa unter Anleitung eines Menschen vollführen musste, der selbst gerade einmal zwei extern ausgeführte Verschmelzungen hinter sich hatte. Ein zur Verfügung stehender Vulkanier musste gar nicht erst herbeigerufen werden, denn Picards Expertise scheint dennoch völlig ausreichend für eine Technik zu sein, die seine eigene Spezies gar nicht betreiben kann, und selbst gebürtigen Vulkaniern wie T'Pol verwehrt blieb (vgl. S. 259ff.).
Die Kontinuität zu den vorangegangenen Werken ist gleichermaßen fragwürdig. Wieso bleibt T'Lana nicht an Bord? Nicht, dass ich sie vermissen würde, doch auf S. 340 des Vorgängers „Heldentod“ legen Jellicos Worte nahe, dass der vulkanische Counselor dem Team erhalten bleiben wird, um ein Gegengewicht zu Picard zu installieren.
Warum die Transphasen-Torpedos als Superwaffe nicht bereits in Heldentod zum Einsatz kamen, bleibt ein weiteres Geheimnis. Wann, wenn nicht zur drohenden Invasion der Erde, hätte sich der Einsatz dieser wirkungsvollen Technik denn dann gelohnt? Nechayevs Erklärungsversuche dazu verlaufen allesamt im Sande und vermögen keinesfalls zu überzeugen (vgl. S. 50).
Ja, selbst auf Julian Wanglers normalerweise handfesten Essay fällt der Schatten des Widerspruchs:

Um den gewachsenen Ansprüchen von Offizieren gerecht zu werden und als Institution attraktiv zu bleiben, bietet die Galaxy-Klasse erstmals die Möglichkeit, ganze Familien mitzuführen.

So einfach ist es nämlich nicht, denn Wangler selbst führt mit Jake Sisko jemanden auf (324ff.), der nicht an Bord eines Schiffes der Galaxy-Klasse seine Mutter verlor, sondern auf der USS Saratoga, einem Schiff der Miranda-Klasse.
Und dann wäre da noch Timothy, der einzige Überlebende der SS Vico, einem Schiff der Oberth-Klasse, das beweist, dass Familienzusammenführung keine Frage des Schiffstypes, sondern der Organisation ist.
Alles in allem lassen sich vergleichsweise viele Anachronismen in diesem Buch finden. Den relativ hohen Standard, den Bennett in „Die Hunde des Orion“ gesetzt hat, vermag er nicht länger zu halten. Vielleicht hätte er eher darauf achten sollen, selbst weniger Fehler zu fabrizieren, anstatt die seiner Kollegen ausbügeln zu wollen.

Fazit: Christopher Bennett mistet im mittlerweile fünften TNG-Relaunch-Roman die Crew radikal aus und belebt die Reihe mit neuen, angenehmen Charakteren, großer Spannung und einem Flair, das Star Trek gerecht wird. Das Ende ist genial und richtet die Spannung auf die kommende Destiny-Reihe, ohne dem Buch einen Schlusspunkt zu verwehren.
Die verhältnismäßig hohe Anzahl an Anachronismen steht hingegen in einem eklatanten Widerspruch zu den Bemühungen des Autors, Reibungspunkte zwischen den einzelnen Serien und Filmen auflösen zu wollen. Dieser Schuss ging genauso so sehr nach hinten los, wie die omnipräsente Pflichtdebatte über Kinder, Erziehung und Fortpflanzung, die einige Schichten zu dick aufgetragen ist.

Denkwürdige Zitate:

Sind wir schon da?
T'Ryssa Chen, S. 9

Wir Nechayevs können ziemlich … beherrschend sein.
Das, äh, ist mir noch gar nicht aufgefallen.
Nechayev und Picard, S. 37

Bewertung: Endlich beginnen die neuen Abenteuer dieser Generation!

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Weiterführende Leseliste:
TNG 01: Tod im Winter
TNG 02: Widerstand
TNG 03: Quintessenz
TNG 04: Heldentod
TNG 05: Mehr als die Summe
Destiny 01: Götter der Nacht
Destiny 02: Gewöhnliche Sterbliche
Destiny 03: Verlorene Seelen
TNG 06: Den Frieden verlieren

7 Kommentare:

  1. So. Hab endlich die Zeit gefunden deine Rezi zu lesen.

    Zur Story: Am Anfang dachte ich, dass es mal eine ganz neue Geschichte gibt. Dann muss ich mal wieder von der schwedisch klingenden "Allzweckwaffe" - die Borg sind gemeint - lesen. Nun gut. In der Kombination mit den übermächtigen Avatarwesen (?) und einem Guinan-Bonus klingt die Story dann doch annehmbar. Und so wie Du davon begeistert schreibst, bin ich nun auch darauf gespannt. Bei meinem aktuellen Lesetempo (1 Roman pro Monat) fange ich wohl Mitte August mit TNG #05 an. Falls ich im August nicht noch schnell DS9 #04 dazwischen schiebe.

    Hast Du eigentlich schon mal daran gedacht die Hörbücher von audible.de zu rezensieren bzw. mit dem Buch zu vergleichen? Quasi als Ergänzung.

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  2. Moiun Bernhard,

    Überlegt habe ich schon, auch Hörbücher zu berücksichtigen. Doch dann ufert das ganze ziemlich aus und auch wenn der Eindruck entstehen mag, habe ich im Moment eigentlich viel zu viel um die Ohren, um da wirklich in die Bresche zu springen.
    Darüber hinaus ist Deine Anmerkung berechtigt: Es sind wieder mal die Borg. Allerdings geht Bennett nicht ständig darauf ein, dass die Borg ach so übermächtig sind und langsam muss man sich auch damit abfinden, dass dieses Thema das Grundmotiv der TNG-Relaunch-Serie wird.
    Lesenswert ist das Buch abba allemal - also viel Vergnügen damit, auch wenn es noch etwas dauert bis August...

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  3. Schöne Rezension, mit der ich im Wesentlichen übereinstimme. Nur eines:

    „With the Borg coming, I have to be … bloody, bold and resolute.“ => „Nicht solange die Borg uns alle bedrohen. Ich muss blutig, kühn und fest sein.“ (S. 215)

    Das muss so sein. Es ist ein Shakespeare-Zitat. (Macbeth / 4 Akt, 1. Szene) Die deutschen Begrifflichkeiten stammen aus einer adäquaten Übersetzung von Dorothea Tieck. Wenn Picard im Engl. Macbeth zitiert, sollte es im Dt. doch auch so sein, denke ich. :) Die das Zitat verdeutlichenden "..." hast du übrigens unterschlagen.

    Beste Grüße
    Bernd

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  4. Moin Herr Übersetzer,

    Ich geb es zu: Ich hab es nicht gewusst. Zwar bin ich ein großer Freund der Dramen Shakespeares, aber dieses Zitat hätte ich auf den Plauz nicht einfach so zuordnen können.
    Aber mit Autoritätsargumenten ist das immer so eine Sache. Tieck ist ja okay, Wieland machte es ähnlich, aber Friedrich Schiller (!), der mit etwas Recherche auch kostfrei (und legal) mit seiner Übersetzung zu finden ist, beschreibt das ganze so:

    "Sei keck und kühn und dürste Blut"

    Das klingt zwar etwas antiquiert, abba man kann sofort selbst als Person ohne Kenntnis MacBeths erahnen, dass der olle Captain hier zitiert. Das war es, was ich eigentlich mit Eigeninitiative gemeint habe - Shakespeare hin oder her.

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  5. So. Wie Du ja aus Facebook schon weißt, habe ich das Werk mittlerweile auch durch. Ist doch deutlich besser gewesen, als ich mir das nachdem ersten Lesen deiner Rezension im Juni erwartet hatte. Ein guter Einstieg, genau wie Du geschrieben hast. Der neue Charakter T'Ryssa Chen ist wirklich gelungen und bringt mit ihrer unkonventionellen Art frischen Wind in die festgefahrenen Bahnen der Crew. Sicher spielen die Borg auch in dieser Geschichte eine Rolle, sind aber eher Randfiguren. Und das ist auch gut so. Nach dem Paukenschlag am Anfang verliert der Roman aber zunächst etwas an Fahrt zu Gunsten der Kinderkriegen-Geschichte. Aber zum Ende hin baut der Roman auch wieder ordentlich Spannung auf, so dass ich auch kurz überlegt habe, die Destiny-Romane vorzuziehen, aber jetzt kommt doch erst mal DS9 8.04 dran.

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  6. Moin Bernhard,

    Ich habe großen Respekt vor Deiner Entscheidung, DS9 der Destiny-Trilogie vorzuziehen. Versteh mich nicht falsch; tatsächlich halte ich die achte Staffel DS9 für noch besser als die TNG-Fortsetzung oder gar Destiny, doch nach dem Lesen dieses Werkes war mein Interesse geweckt. So sehr, dass ich Destiny vorgezogen hätte.
    Allerdings ist "Dämonen der Luft und Finsternis" auch nur ein kleiner Teil einer größeren Geschichte, weswegen ich sehr gespannt bin, wie Du darüber urteilen wirst. Bei mir liegt deCandidos Werk in der Gesamtpunktzahl jedenfalls mit Destiny gleichauf.

    Trotzdem noch viel Spaß beim Lesen!

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  7. Ein sehr angenehmer Roman. Gut zu lesen, richtig gute Story - und ein perfekter Auftakt für das Kommende in Destiny.

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