Montag, 21. September 2009

Der Pirat

Buchbesprechung Scott, Melissa: Der Pirat. Heyne, 1995/1996.

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Story: Die Angst geht unter den Händlern um, die in steter Regelmäßigkeit die Raumstation Deep Space Nine anlaufen: Die 'Helios', ein Piratenschiff, das bislang nur auf der cardassianischen Seite der Grenze herummarodierte, hat sich nun auch in den von der Föderation kontrollierten Raum gewagt, und bereits ein Schiff mitsamt seiner Mannschaft ausgelöscht.
Auf der Ops der Station bricht eine fieberhafte Suche nach den versteckten Schiff aus, das dummerweise über eine Tarnvorrichtung verfügt, während Odo zwei altbekannte Schmuggler und eine mysteriöse verschleierte Frau observiert.
Diese Frau erweist sich schließlich als Schlüssel zu den Aktivitäten der Freibeuter, denn es stellt sich heraus, dass es sich bei der eleganten Erscheinung um niemand geringeren als die Ehefrau des Captains der Helios handelt.
Doch ein Zugriff schlägt fehl; statt dessen gelingt es den Piraten, O'Brien und Kira als Geisel zu nehmen. Sisko muss also mit den Entführern verhandeln, doch die Zeit wird langsam knapp, denn eine Flotte cardassianischer Schiffe unter dem Kommando Dukat nähert sich der Station, um dem vielgesuchten Piraten selbst das Handwerk zu legen...

Lobenswerte Aspekte: Piraten! Das Wort läßt nicht nur Kinderherzen alljährlich in der Faschingszeit höher schlagen, sondern hat auch für Cineasten, Downloadfanatiker, Religionsverweigerer, Bundeswehrmarinesoldaten und Erstwähler einen aktuellen Klang. Es ist daher nur logisch, davon auszugehen, dass auch die Zukunft von der lukrativen und innovativen Art und Weise, schnell zu Geld zu gelangen, Gebrauch gemacht wird. Dies mit Deep Space Nine, dessen Zugang zum Wurmloch neue Handelswege erschließt, zu paaren, ist absolut nachvollziehbar.

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Old Pirates, yes they rob I


Ebenso nachvollziehbar ist es für jeden, der mal in einer Feuerwehr oder beim Bund gewesen ist, welch intensive Vorbereitungen und Sicherheitschecks einem einfachen Shuttlestart vorausgehen. Das hier mit der Legende schnellen Startens und Landens aufgeräumt wird (S. 20ff.), ist besonders löblich, denn ich kann mir beileibe nicht vorstellen, dass eine so bürokratische Organisation wie die Sternenflotte hier keine detaillierten Regularien und Vorschriften für diesen potentiell gefährlichen Vorgang in petto hat.
Höhepunkt dieser bewussten Wirklichkeitsnähe ist der augenzwinkernde Verzicht auf einen Fehler, der in der Fernsehserie allenthalben gemacht wurde. Ich denke, dass sich wirklich jeder schonmal gefragt hat, was eigentlich mit Odos Kommunikator geschieht, wenn der Wechselbalg seine Form verändert - zu oft prangt das kleine technische Gerät vor und nach diesem Prozess an der Brust des Constables. Nicht so in diesem Werk: Odo legt seinen 'Draht zur Außenwelt' ab (S. 206) und ärgert sich anschließend (in unverhaltener ironischer Anspielung auf die Serie), dass er kein mitwandelbares Gerät nutzen kann (S. 211).
Die gut gezeichneten Figuren tun ihr Übrigens, um dem Leser ein authentisches Gefühl für die Serie zu bieten, selbst wenn sich die Referenzen auf andere Folgen auf eine kleine Nebenbemerkung Jadzia Dax' zu "Die Macht der Phantasie" beschränken (vgl. S134).

Kritikwürdige Aspekte: Zuerst verwundert es einmal, dass ein Schiff wie das der Piraten, das grob als Konglomerat aus klingonischem Rumpf und zusammengeklauten Aufbauten und Ersatzteilen beschrieben werden kann, einen Namen aus der Erdenmythologie trägt, und dies mit einem eindeutigen Sonnensymbol unterstreicht (S. 44). Warum sollte ein Schiff mit einem sochen Hintergrund und einer Multi-Spezies-Besatzung, der nur ein (rangniederer) Mensch angehört, ausgerechnet eine solche Bezeichnung tragen?
Als problematisch erweist sich außerdem die zeitliche Einordnung dieses Romans. Das soziale Gefüge innerhalb der Besatzung der Station und die einzige Referenz auf die Serie deuten auf die erste Staffel hin, doch die Erwähnung der momentan reparaturbedürftigen USS Defiant (S. 16) legt eher eine Verortung in der dritten Staffel nahe.
Wie bereits erwähnt sind die verschiedenen etablierten und neu eingeführten Figuren sehr gelungen, doch am Ende muss der Leser mit Wehmut feststellen, dass auf interessante Charaktere mit viel Potential, wie etwa den cardassianischen Kommandanten Gul Dijmas oder den menschlichen Pirateningenieur Cytryn Jarriel (dessen Vorname auf polnisch soviel wie "Zitrone" bedeutet) nicht mehr näher eingegangen wird, obwohl sich eine nähere Beschäftigung sicherlich gelohnt hätte.

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Deutsche, kauft deutsche Zitronen!

Doch darüber hinaus fehlt auch der gesamten Geschichte das retardierende Moment; der unerwartete Twist, der den ganzen Rettungsplan vielleicht noch gefährden könnte und die Spannung steigert. Doch der aalglatten Story ist dies nicht vergönnt, zumal sie zuviele Seiten benötigt, um in Fahrt zu kommen und sich gegen Ende förmlich überschlagen muss, um die Masse an Ereignissen überhaupt noch schildern zu können.
Besonders der letzte Teil des Werkes ist jedoch, stilistisch betrachtet, eine wahre Katastrophe. Viel zu oft ignoriert der Übersetzer hier die mannigfaltigen Möglichkeiten der deutschen Sprache, das Verb "sprechen" mit einem Äquivalent auszutauschen. Daher kommt es allein in Kapitel zehn, das sich auf nur 29 Seiten erstreckt, zu 87 Dialogeinleitungen-, -unterbrechungen bzw. -ausklängen, die auf "sagen" oder eine seiner gebeugten Formen zugreift. Das sind immerhin drei Nennungen pro Seite, wobei zu bedenken ist, dass es mehrere sehr dialogarme Passagen gibt und auf anderen Seiten (vgl. S. 260) das Wort "sagte" sogar fünf mal auftritt. Hält man sich dazu vor Augen, dass auf der Doppelseite 276-277 auf lediglich zwölf Zeilen Umfang ebenfalls fünf mal dieser Fall eintritt, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass es hinsichtlich der Ausdrucksformen deutliche Mängel gibt.
Doch die Heyne-Übersetzung steht wie gewohnt treu zu ihren altbekannten Fehlern: Hier trifft man auf das in Star Trek niemals verwendete Wort "Medo-Offizier" (S. 292); dort belässt man die Bezeichnung "Starfleet" (S. 10) unübersetzt. Dem gegenüber stehen Begriffe, die in der Serie völlig andere Namen tragen, wie etwa ""Flitzer" (statt "Runabout", S. 13), "Götter" (statt "Propheten", S. 149), " oder Datenblock" (statt "PADD", S. 229).
Neben einigen Interpunktionsfehlern (z.B. S. 19, fehlendes Fragezeichen in Z. 21) stört vor allem die Uneinheitlichkeit bei der Übersetzung von Eigennamen der Raumschiffe. Während der des Xawe-Schiffes "Gabe des Fliegens" (S. 14) nämlich übersetzt wird, bleiben die der cardassianischen Flotte (z.B. "Avenger", "Reprisal", oder "Counterblast", S. 99) auf Englisch belassen.
Zwar verzichtet dieses Buch auf die berühmten "desaktivieren"-Formen (vgl. S. 56), doch auch kleinere Fehler wie "[...] griff nach seinen Sicherheitsguten [...]" stellen nicht unbedingt ein gutes Zeignis für Übersetzungs- und Lektorenarbeit aus.

Anachronismen: Schon das Cover löste bei mir einige Assoziationen aus: Kira Nerys, Gul Dukat und ein klingonischer Bird of Prey? Gibt es da nicht etwas von Star Trek?
Ja natürlich!
In Episoden wie "Zu neuer Würde", "Die Apokalypse droht" oder "Im Licht des Infernos" erfährt man, dass Gul Dukat während des Krieges der Cardassianer gegen die Klingonen selbst in piratenhafter Manier durch die einzelnen Sektoren marodiert, um seine handlungsunfähige Heimat zu rächen! Das wirft natürlich irritierende Parallelen zu diesem Buch auf, selbst wenn die Geschichte nicht in Gänze mit den in der Serie geschilderten Einzelheiten konform geht.
Außerdem entspricht es nicht den Tatsachen des Star-Trek-Kanons, dass sich Bird of Preys enttarnen müssen, um Subraumnachrichten abzusenden oder zu empfangen (S. 191), wie man in "Wiedervereinigung?", "Star Trek VI: Das unentdeckte Land" oder "Star Trek VII: Treffen der Generationen" deutlich sehen kann.
Vielere kleinere Fehler, wie dem vermeintlichen 24-Stunden-Rythmus auf DS9 (S. 70), der Zugehörigkeit Keikos zu Sternenflotte (S. 130) oder der Maximalgeschwindigkeit von Runabouts werden in Folgen wie "Leben in der Holosuite", "Unter Verdacht" oder "Der Fall Dax" widersprochen.

Fazit: "Der Pirat" besticht durch seine Aktualität, sein Einfühlungsvermögen in puncto Figurendarstellung und seinen teilweise ironischen Umgang mit der Nachvollziehbarkeit von Science-Fiction.
Leider schreckt der Roman jedoch auch durch seine stilistischen und konzeptionellen Schwächen, seine Übersetzungsmängel und Anachronismen so sehr ab, dass diese Punkte die positiven Aspekte schnell aufwiegen, zumal eine Geschichte um Kira Nerys, Gul Dukat und einen klingonischen Bird-of-Prey für einen Anhänger Deep Space Nines zu vertraut klingt, um eine Variation dieses Themas, egal wie weit sie geht, vorbehaltslos genießen zu können. Auch wenn die Autorin für diese spätere Seriendarstellung nicht verantwortlich ist, hat sie ungewollt ein Beispiel für Werke erschaffen, die vom Kanon eingeholt worden sind.

Denkwürdige Zitate:

Und eines Tages müssen Sie in mein Geschäft kommen, damit ich sie vernünftig einkleiden kann. Es ist eine Schande, daß ein so gutgebauter junger Mann eine Starfleet-Uniform tragen muß."
Garak zu Bashir, S. 159

"Ich dachte, Sie wären Arzt und kein Hacker."
Kira zu Bashir, S. 310

Bewertung: "Zu neuer Würde" mal anders.

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