Montag, 14. Dezember 2009

Masken

Buchbesprechung Vornholt, John: Masken. Heyne, 1989/1991.

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Story: Im Zuge einer diplomatischen Mission besucht die USS Enterprise NCC-1701-D den Planeten Lorca. Die geologisch extrem instabile Welt wartet mit einer noch viel bizarreren Tradition auf: Alle Bewohner verhüllen ihr Gesicht mit Masken, die ihren Trägern soziale Ränge verleihen. Ein Außenteam wird für den Sonderbotschafter der Föderation zusammengestellt, und die Autorität einer kostbaren Botschaftermaske soll helfen, erste diplomatische Beziehungen herzustellen.
Zum Außenteam, gehört auch, von heftigen Protesten Rikers begleitet, Captain Jean-Luc Picard und die schlimmsten Befürchtungen seines ersten Offiziers finden sich bestätigt, als nach einer heftigen vulkanischen Eruption der Kontakt zur Delegation auf der Planetenoberfläche abreißt. Riker bildet ein neues Außenteam unter seiner eigenen Leitung, um dem mysteriösen Verschwinden seines vorgesetzten Offiziers auf den Grund zu gehen.
Und tatsächlich gelingt es Riker nicht nur, erste Kontakte zur einheimischen Bevölkerung zu knüpfen, sondern auch ein Mitglied des verloren geglaubten Teams mitten in der Wildnis aufzuspüren. Doch Lewis, der Sonderbotschafter der Föderation, bringt schlechte Nachtrichten mit. Worf, Deanna Troi und der Captain wurden bei einem plötzlichen Überfall umgebracht und auch die wertvolle Botschaftermaske fiel in die Hände der meuchelmordenden Missetäter.
Doch damit nicht genug. Die Situation verschärft sich durch die geologische Instabilität und die Ferengi, die plötzlich im Orbit der Welt auftauchen: Sie greifen in die bestehenden Machtverhältnisse ein und reißt die Maske der Weisheit an sich – das verloren geglaubte Herrschaftsattribut Lorcas.
Es ist nun an Riker, die fragilen Machtstrukturen des Planeten zu restaurieren, die diplomatische Aufgabe zu retten und wenigstens die Leichen des vermissten Außenteams zu bergen...

Lobenswerte Aspekte: Der Roman fängt schon gut an. Die Beschreibungen Lorcas sind so interessant wie gelungen – das Gefühl, es mit einer völlig von der Erde abweichenden Welt zu tun zu haben, stellt sich bereits auf den ersten Seiten ein. Dabei gelingt es Vornholt, diese Abweichungen in Geologie (vgl. S. 27ff. oder S. 54), Flora (vgl. S. 55f. oder S. 62) und Fauna (vgl. S. 27f. oder S. 44ff.) derart lebendig zu beschreiben, dass sich das Endprodukt tatsächlich vom düsteren Schatten der stets monotonen und irgendwie immer erdähnlichen Planeten innerhalb der verschiedenen Star-Trek-Serien abhebt. Dass er da in der Danksagung Ashley Grayson für seine Hilfe bei diesem sensiblen Thema dankt (vgl. S. 6) ist nur allzu verständlich.
Doch Vornholt braucht sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, denn auch die Beschreibungen der sozialen Verhältnisse auf dem abweisenden Planeten sind äußerst gelungen. Eine gesamte Gesellschaft zu ersinnen, die Masken als Ausdruck hierarchischer Ordnung zurückgreift, hört sich im ersten Moment vielleicht langweilig an, doch dem Autor gelingt es rasch, eine vielschichtige und tiefgründige Frage zu stellen: Ist es die gesellschaftliche Position, die unsere Individualität bestimmt, oder ist es genau anders herum?
Doch damit nicht genug. Mit dem Tragen von Masken schneidet er ebenfalls die in vielen muslimischen Staaten übliche Verschleierungen an (vgl. S. 51 oder S. 100f.), spielt mit den klar definierten Rollen antiker Theatertraditionen (S. 94f.) und man kann sogar soweit gehen, die diversen Verkleidungsvergleiche mit modernen Superhelden wie Spiderman, Superman oder Batman in Verbindung zu bringen (S. 132ff).

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Maskierte Rächer als Parabel für die Menschheit

Höhepunkt ist allerdings, dass es Vornholt gelingt, diesem Aspekt sogar eine erotische Komponente abzugewinnen. Der intime Akt des Ablegens der Maske in trauter Zweisamkeit wird nämlich um eine Nuance erweitert, die in unserem Kulturkreis ungleich sexueller konotiert wird: Mit dem Ablegen eines BHs (vgl. S. 148). Picards Schwierigkeiten beim Lösen der Maskenhalterung und die Reaktion seiner Gespielin „Scharfe Klinge“ darauf gewinnen nämlich durch diesen Griff in die erzählerische Trickkiste an Atmosphäre, die sich auch Personen erschließt, die nicht jeden Tag ihr eigenes Antlitz vor ihren Mitmenschen verbergen.
All diese Punkte ließen sich in derartiger Tiefe niemals in Filmform transportieren und somit bildet das Buch das perfekte Medium für diese Geschichte. Kein Wunder, dass es als erster TNG-Roman den Weg in die New-York-Times-Bestseller-Liste schaffte, denn einen so hohen Anspruch findet man nicht oft in einem Star-Trek-Buch. Dennoch sprengt es den Rahmen nicht – recht einfühlsam passt es sich dem Charme und Flair der Ursprungsserie an.
Dies gelingt besonders gut dadurch, dass es sich in erster Linie an TOS orientiert. Was im ersten Moment sicherlich befremdlich klingt, erweist sich als gekonnter Brückenschlag, denn Vornholt beschreibt quasi nebenbei anhand klassischer Serienelemente, warum beispielsweise Captains nicht an Außenmissionen teilnehmen (vgl. S. 21) oder warum die alten Kommunikatoren eben doch viel besser waren, als die neuen (vgl. S. 34). Selbst den Vornamen des windigen Freistildiplomaten Fenton Lewis kann man als leise Hommage an das altgediente TOS-Schlitzohr Harcourt Fenton Mudd auslegen.

Kritikwürdige Aspekte: Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wieder einmal ist ein Schiff mit dem Namen Enterprise im Orbit eines Planeten, dessen Bevölkerung vor längerer Zeit zu den Menschen gezählt wurde. Die Kultur hat sich in ihrer Isolation eigenständig weiterentwickelt und weicht jetzt etwa dadurch ab, dass in dieser Filiale der Homo-Sapiens-Familie Masken getragen werden. Doch im Grunde genommen bleibt das Thema ein alter Hut, egal ob es in diversen Episoden („Der Obelisk“, „Der Planet der Klone“, „Die 37er“ oder „Faustrecht“) oder Büchern („Die Ehre des Drachen“, „Ketten der Gewalt“ oder „Der rote König“) aufgegriffen wird.
Die Hintergrundgeschichte dieser verloren gegangenen Erdenkolonie ist dabei besonders haarsträubend. Eine Schauspieltruppe strandet mit zusammen militanten Amish auf einer abgelegenen Welt, dann Naturkatastrophen, Chaos und Mythenbildung - und schwupps! - ein paar hundert Jahre später laufen alle herum wie Ritter und verbergen ihre Gesichter hinter Masken. Natürlich! Glasklar! Nur logisch!


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Eine logische Wahl: Die alten Rittersleut'

Hinzu kommt, dass das Thema Masken ja so neu auch nicht mehr ist. Gut, die leider nicht gleichnamige TNG-Folge „Der Komet“ entstand ebenso wie die Voyager-Episode „Die Muse“ weit nach dem Erscheinen dieses Buches, doch bereits im ersten Star Trek Kinofilm gab es mit den kaum bekannten Shamin eine maskierte Spezies.
Doch beide Kritikpunkte sind vernachlässigungswürdig. Immerhin wurde Lorca besiedelt, nachdem die Menschheit den Warpantrieb erfand und die Shamin sind nun wirklich eine Randerscheinung gewesen.
Die große Manko des Romans liegt in einer generellen Schwäche Vornholts. Auch in anderen seiner Werke, wie etwa „Kontamination“ fallen immer wieder Probleme mit der Darstellung der bekannten Figuren der Serie auf. Das ist auch hier der Fall.
So wirkt etwa Riker völlig ungeeignet für den Posten eines ersten Offiziers, Data steht seinen menschlichen Schiffskameraden in puncto Emotionalität in nichts nach und der Charakter des Bösewichts Lewis ist bestenfalls grob skizziert, jedoch nie in irgendeiner Form nachvollziehbar oder gar handlungsorientiert - er bleibt stets ein Fremdkörper in der Geschichte.
Dass hingegen Figuren wie Wesley Crusher und Kate Pulaski gar nicht nerven, ist zwar irgendwie angenehm, doch nicht sonderlich serientreu.
Andere kleinere Wehmutstropfen sind zum Beispiel der hohe Blutzoll und das viel zu abrupte Ende – doch diese kleineren Wehwehchen verblassen nahezu im Vergleich zu den Abstrichen in der Figurendarstellung.

Übersetzung: Der Übersetzung merkt man die Herkunft aus dem Hause Heyne deutlich an. 'Zehn Vorne' ist ein „Gesellschaftsraum“ (S. 9), die 'Sternenflotte' „Starfleet“ (S. 41) und die 'Föderation' ein „Völkerbund“ (S. 270). Dazu noch ein paar ungebräuchliche Formulierungen wie „terranisch“ und „Insignienkommunikator“ (beides S. 15), weltfremde Kombinationen mit Präfixen wie „Medo-“ (vgl. S. 42, S. 124 oder S. 131) oder „Erg-“ (vgl. S. 273) und das kontinuierliche, doch stets unangebrachte Beharren auf dem Wort „desaktivieren“ (S. 165) – und schon zeigen sich erste Entnervungserscheinungen beim Leser.
Dann noch reihenweise Zeichenfehler (z.B. S. 104, S. 251 oder S. 271), falsch genutzte Artikel („die Counselor“, S. 104) oder unpassende Pluralformen („Schotten“, S. 109) und einige kleinere Fehler wie „Eins“ (S. 16) statt „Eines“ oder die unfreiwillige Wortehe „ebensoschlimm“ (S. 21).
So richtig mulmig wird es allerdings erst, wenn man so merkwürdig übertragene Sätze wie „Verschiedene Versionen davon existierten praktisch auf allen technologischen Planeten der Galaxis.“ (S. 173) liest, denn dafür kann man den Übersetzer die Schuld geben. Es gibt einige ähnliche Sätze, doch gerade die fantasielose Bezeichnung 'technologischer Planet' ist nicht unbedingt eine von den Phrasen, die ich in einem gut übersetzten Buch erwarte.

Anachronismen: Es gibt nur eine kleine Anzahl von Widersprüchen zu den verschiedenen Serien der Star-Trek-Saga. Für einige kann Vornholt gar nichts, weil sie erst nachträglich durch später erschienene Folgen entstanden, andere hätten durch eine gründliche Recherche vermieden werden können.
Schließlich war bereits im dritten Kinofilm „Auf der Suche nach Mr. Spock“ eine klingonische Sprache zu hören, die nicht „[...] nur aus Knurr- und Klicklauten zu bestehen schien.“ (S. 15). Gut, das Knurren könnte man vielleicht noch irgendwo gelten lassen, doch Klicklaute sind doch etwas übertrieben.
Die Sprache der erzkapitalistischen Ferengi hat hingegen bis heute auch noch keinen zweigliedrigen Personennamen hervorgebracht (vgl. S. 176), auch wenn deren Leitwährung in der später folgenden Serie Deep Space Nine 'goldgepresstes Latinum' und nicht „Verrechnungseinheiten“ (S. 278) hieß.
Doch auch der in Romanen sehr beliebte Fehler, der Föderation ein auf Geldmitteln basierendes Wirtschaftssystem zu unterstellen, lässt sich hier (vgl. S. 12) ausmachen, obwohl es bereits anders lautende Äußerungen gab.
Schließlich sind die Antaraner (vgl. S. 41), die Vornholt bereits in „Kontamination“ berücksichtigte, nicht mit jener Spezies gleichen Namens vereinbar, die dem Zuschauer aus der Enterprise-Folge „Böses Blut“ bekannt sein dürfte.
Doch das Problem dieses Romans ist keineswegs die überschaubare Menge an äußeren Widersprüchen. Die Geschichte auf dem tektonisch instabilen Planeten hadert zuweilen auch mit sich selbst, denn nicht nur der Planet ist voller Schlundlöcher, sondern auch die Handlung.
Warum verweigert die schiffsinterne Übersetzungsmatrix ihren Dienst, wenn jemand klingonisch spricht (vgl. S. 15) ?
Warum ist die Botschaftermaske, die der berühmte Künstler Fazool für die Ferengi herstellte (vgl. S. 68) so passgenau für Menschen (vgl. 31)? Immerhin tragen Ferengi auf dieser Welt Masken, mit denen sie dennoch problemlos als Ferengi zu erkennen sind (vgl. S. 181 und s. 202!
Und auch jener Meister Fazool gibt mir zu denken. Aus welchem Grund weicht sein Name von den üblichen Bezeichnungen wie „Scharfe Klinge“, „Tagesfleiß“ oder „Geschickte Hand“?

Fazit: „Masken“ ist ein Buch mit vielen Fehlern. Die Heyne-Übersetzung, innere und äußere Logiklücken und vor allem die durch die Bank weg schlecht nachempfundenen Figuren berauben dem Roman an vielen Stellen seines Charmes.
Doch die völlig fremde Welt und die Grundidee einer maskierten Gesellschaft sind die Trümpfe dieses Buches, denn genau darüber gelingt es dem Roman, zu glänzen. Der Gebrauch von Masken wird einfühlsam zu einem in vielen Facetten beleuchteten kulturellen Aspekt der gesamten Menschheit stilisiert, wobei am Ende die zentrale Frage steht, ob der Gebrauch einer Position den Menschen ausmacht, oder der Mensch die Position. Vornholt legt dabei ein solches Geschick an den Tag, dass die Platzierung seines Werkes auf der US-amerikanischen Bestsellerliste verständlich wird.

Denkwürdige Zitate:

Er hat einen Punkt in seiner Karriere erreicht, an dem er sich ein wenig Exentrik erlauben kann. Das gilt auch für mich.
Picard, S. 22

Bei uns gibt es ein Sprichwort. Man kann hundert Masken haben, aber nur eine tragen.
Medizinmacher, S. 162

Bewertung: Der mit Abstand beste Vornholt-Roman.

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