Dienstag, 28. September 2010

Die Friedenswächter

Buchbesprechung deWeese, Gene: Die Friedenswächter. Heyne, 1988/1989.

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Story: Einsam, still und verlassen schwebt eine antike Raumstation gigantischen Ausmaßes in der weiten Leere des Alls. Die Crew der USS Enterprise NCC-1701-D entdeckt das hochentwickelte Objekt eher durch Zufall und beginnt sogleich damit, das riesige Artefakt näher zu studieren.
Kaum jemand innerhalb der Besatzung des Schiffes scheint mehr für diesen Job geeignet als der androide zweite Offizier Data und sein Freund Geordi LaForge, der zwar blind ist, jedoch durch eine Visor genannte Sehhilfe Dinge zu sehen vermag, die dem bloßen menschlichen Auge verborgen bleiben.
Der vermeintliche Vorteil verkehrt sich jedoch schnell ins Gegenteil, denn im Zuge ihrer Untersuchen lösen beide versehentlich einen Mechanismus aus, der sie Lichtjahre von ihrer vorherigen Position rematerialisieren lässt.
Während die Enterprise sich auf die Suche nach ihren beiden verschwundenen Besatzungsmitgliedern macht, finden sich Data und LaForge auf einer vergleichsweise primitiven bewohnten Orbitalstation wieder. Der erste Kontakt zu den Einheimischen fällt zwar freundlich aus, doch nur knapp entgehen die beiden Offiziere kurz darauf einem heimtückischen Mordanschlag. Ehe sie sich versehen finden sie sich in einer diktatorisch geführten Gesellschaft wieder, die in ihnen zwar Götter sieht, jedoch auch die Schuld an dem zivilisatorischen Stillstand ihrer Kultur an ihnen festmacht. Um ihr Überleben zu sichern, sehen sich Data und Geordi gezwungen, ein doppeltes Spiel zu spielen: Zum einen belassen sie den Diktator Shar-Lon im Glauben, Abgesandte der Götter zu sein, während sie zeitgleich mit der örtlichen Opposition kollaborieren...

Lobenswerte Aspekte: Will man dieses Werk kritisieren, so sollte man sich zuerst einmal die zeitlichen Umstände vor Augen halten.
Die damals nagelneue Star-Trek-Fernsehserie „The Next Generation“ war während der Entstehungszeit des 1988 in den USA erschienenen Romans gerade einmal angelaufen und daher ist es kaum verwunderlich, dass die beschriebenen Ereignisse innerhalb des Buches nicht über Bezüge auf „Rikers Versuchung“ (vgl. S. 192) hinausreichen.
Immerhin ist „Friedenswächter“ nach der Novellisation von „Mission Farpoint“ der erste eigenständige Roman des nächsten Jahrhunderts in Deutschland (im amerikanischen Original gebührt Diane Careys „Gespensterschiff“ die Pole-Position).
So gesehen leistet deWeese solide Arbeit: Die Charaktere sind gut getroffen und vor allem der zeitlose Flair der ersten Staffel TNG ist glaubwürdig eingefangen.
Das Buch vereint nämlich in gleichem Maße die moralisierenden Aspekte der klassischen Serie mit neuen Charakteren und neuer Technik – quasi so eine Art Kirk-Wurst im Picard-Schlafrock. Ganz besonders festigt sich dieser Eindruck bei einer näheren Betrachtung des scheinbar antiautoritär erzogenen Chefingenieurs Argyle (vgl. S. 66ff.), der wohl nicht ganz ohne Hintergedanken den (noch) leeren Platz im Maschinenraum in Scotty-esker Manier ausfüllt.
Pure Nostalgie kommt zudem in jenen Momenten auf, in denen Tasha Yar ihren Auftritt hat (vgl. z.B. S. 10, S. 126ff. oder S. 147ff.), denn an diesen Stellen wird dem heutigen Leser, der natürlich längst ihren Tod in „Die Seuche“ voraussieht, stets das Pionier-Feeling der ersten Staffel brachial unter die Nase gerieben – die Aufbruchsstimmung der nächsten Generation weckt längst verschüttet geglaubte Erinnerungen an das nahezu unbekümmertes Experimentierstadium der jungen Serie, in dem von langen Schatten wie den Borg, dem Maquis oder der Duras-Familie noch nichts zu spüren war.
Positiv ist ferner anzumerken, dass deWeese dem oft recht einseitigen Planeten- und Stationsdarstellungen Gravitiationsunterschiede zubilligt – eine logische Überlegung, der in Serien und Filmen viel zu selten ( - um nicht zu sagen 'nie' - ) Rechnung getragen wird (vgl. S. 218f.).

Kritikwürdige Aspekte: Mit Warp hat dieser Roman wahrlich nur peripher zu tun. Die Handlung vermag es nämlich auf insgesamt 256 Seiten nicht, nennenswerte Spannung zu erzeugen oder gar wohlwollendes Interesse zu wecken.
Im Gegenteil: Hier hören die Vergleiche mit der ersten Staffel bereits auf, da dort zumindest einige der Episoden etwas an Dramatik aufbieten konnten.
Mildernde Umstände können wie gesagt lediglich durch das frühe Erscheinungsdatum geltend gemacht werden. Aber bei allem Verständnis für das Erscheinungsdatum des Buches muss man eingestehen, dass der Inhalt dem erfahrenen TNG-Fan zwangsläufig bekannt vorkommen muss. Später folgende Staffeln beschwören nämlich mit Episoden wie etwa „Die Iconia-Sonden“ oder „Das Interface“ einen hohen Wiedererkennungswert herauf.
Betrachtet man allerdings das Ende des Buches näher, muss man ganz andere Parallelen ziehen. Dort wird der Tag und das Leben des Außenteams nämlich durch das schauspielerische Talent Worfs gerettet, der sich als griesgrämiger Außerirdischer ausgibt, um eine Flotte aufgebrachter Partisanen davon abzuhalten, ein Massaker zu verüben, das auch den Tod einiger seiner Mannschaftskameraden zur Folge hätte.
Wer sich zu den alten Hasen des Genres zählt, wird in dieser Art des gehobenen schauspielerischen Bluff ein recht beliebtes Motiv der Serie erkennen, das bereits in Folgen wie „Klingonenbegegnung“, „Der Pakt mit dem Teufel“ und „Die Damen Troi“ hinlänglich behandelt wurde.
Während man Worf diese Scharade in „Klingonenbegegnung“ ja noch irgendwo abnehmen kann, weil sie zumindest im Ansatz die Würde, den Ernst und die Integrität der Figur wahrt, erinnert der gleiche Versuch hier eher an den vermeintlich liebestollen Picard in „Die Damen Troi“ oder an die übereifrige Höllenfigur aus „Der Pakt mit dem Teufel“.
In unwürdiger Manier nutzt deWeese hier ferner tolpatschig das Motiv, mit dem Worfs Antlitz bereits in „Die neutrale Zone“ Angst und Schrecken bei technologisch weniger fortgeschrittenen Individuen auslöste. Zwar ist es angenehm, dass dem Klingonen so ein wenig mehr Spielraum zuteil wird, aber der in „Worfs Brüder“ eingeschlagenen Richtung folgt der Autor hier nicht einmal ansatzweise.
Geklaut wird schließlich auch noch an anderer prominenter Stelle: der telekinetische Superhelm, durch den der Hobby-Prophet Shar-Lon seiner grenzenlose Macht bezieht, erinnerte mich stark an eine andere Science-Fiction-Ikone...

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Ein Helm sie zu knechten...

Übersetzung: Das relativ frühe Copyright der deutschsprachigen Übersetzung (1989) lässt nicht ganz zu Unrecht das Schlimmste vermuten. Die Übersetzung war schließlich bereits in Sack und Tüten, BEVOR die Serie synchronisiert in unseren Breiten zu sehen war.
So gibt es nur wenig Schnittmenge mit dem aus der Flimmerkiste gewohnten Vokabular, sondern das gewohnte Heynesprech von „Diskuskomponente“ (S. 11), über „Starfleet“ (S. 162), bis hin zum „Medo-Team“ (S. 215).
Irgendwo ist es in dieser Situation sogar noch zu verstehen, dass man auf Altbewährtes zurückgreift, um einer noch nicht in Deutschland ausgestrahlten und synchronisierten Serie adäquat zu begegnen. Dass der Verlag allerdings in folgenden Büchern auf diesen Begrifflichkeiten beharrte, obwohl Film und Fernsehen längst andere Standards gesetzt hatten, zeugt lediglich von Unflexibilität und Sturheit.
Verständlich ist ferner, dass einige der neu eingeführten Begriffe in ihrer Gestalt noch nicht so gefestigt wirken wie in späteren TNG-Büchern. So findet sich neben dem vergleichsweise umständlichen „Insignienkommunikator“ (S. 33) das ungleich galantere „Brustabzeichen“ (S. 18) und auch der „Visor“ (S. 16) muss sich zwar mit einem sächlichen Artikel (vgl. S. 68), nicht jedoch mit einer konsequenten Großschreibung abfinden.
Darüber hinaus ist an diesem Übersetzungsprodukt die überproportionale Anwesenheit des unsinnigen Wortes „desaktivieren“ (S. 33, S. 57, S. 71, S. 79, S. 106, S. 155, S. 161, S. 191, S. 206, S. 218, S. 235) wirklich nervenaufreibend.
Im größeren Rahmen gesehen passt dies jedoch zu der extrem holprigen Übersetzung, die mit Formulierungen wie „[...] mit unbekanntem Ziel abgestrahlt [...]“ (S. 97), „artifizielle Raumobjekte“ (S. 213) oder „Paneel“ (S. 25, als Übersetzung für 'Panel'!) nicht unbedingt zu überzeugen versteht. Der unfreiwillig komische Höhepunkt dieses Buches ist dahingehend schließlich die Formulierung „mentale Ohren“ (S. 113, statt original 'mental net'), die dieser spärlichen Leistung noch das finale i-Tüpfelchen aufsetzt.

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Auch im hohen Alter wichtig: Ein offenes Ohr für die Gefühle der Mitmenschen

Anachronismen: Natürlich mutet es irgendwie merkwürdig an, wenn man auf Seite 158 Data folgenden Satz sagen liest:

Mein Körper ist nicht völlig organischer Natur.

Wie jetzt, Datas Körper soll in irgendeiner Form organisch funktionieren?
Was im ersten Moment sicherlich fragwürdig anhört, ist für jemanden, der gerade einmal ein paar Episoden der ersten Staffel TNG gesehen hat, nur logisch. Wie sonst sollte der androide Körper denn die Krankheitserreger in „Gedankengift“ aufgenommen haben?
Das diese Episode von den späteren Ereignissen geflissentlich ignoriert wurde, verwundert da angesichts dieser Folge schon etwas mehr.
Man sieht dem Autor daher nach, dass er Klingonen keinen Kälteschlaf zugesteht (vgl. S. 12), obwohl in „Klingonenbegegnung“ genau dies der Fall war und ignoriert Bemerkungen, die nahelegen, dass man sich nach einem eingeleiteten Transport nicht mehr bewegen könne (vgl. S. 40), obwohl Lt. Barclay in „Todesangst beim Beamen“ selbiges eindeutig gelang. Auch die Behauptung, Geordi würde seinen Visor zum Schlafen nicht ablegen (vgl. S. 68), stimmt nicht mit entsprechenden Szenen in „Verräterische Signale“ überein.
Da dies jedoch erst in der fernen Zukunft der zweiten, vierten und sechsten Staffel zu sehen sein sollte, sind diese Fehler deWeese kaum anzukreiden.
Aus diesem Grund fallen andere Unregelmäßigkeiten mehr ins Gewicht. So nennt Troi zum Beispiel den Captain beim Vornamen (vgl. S. 10) – eine Verfahrensweise, die in den herausgeschnittenen Szenen von Star Trek „Nemesis“ oder der entsprechenden Novellisation nicht unbedingt auf viel Gegenliebe treffen dürfte und nicht einmal in der ersten Staffel zu hören war. Auch die beschriebenen Individualschilde (vgl. S. 16) tauchten vielleicht in der TAS-Episode „Das körperlose Wesen“, nicht aber in den folgenden Star-Trek-Serien auf.
Zudem hält Picard in seinem Bereitschaftsraum mitnichten einen „Tigerfisch" (S. 96, im englischen Original 'tiger fish') in seinem Wandaquarium, sondern einen „Feuerfisch" (auf englisch 'lion fish') namens Livingston.

Fazit: Wer sich zu den guten alten Tagen zurücksehnt, in denen noch die Aufbruchstimmung der ersten Staffel den Ton im nächsten Jahrhundert angab, wird an diesem Buch seine helle Freude haben.
Aber diese Rückbesinnung hat ihren Preis, denn sie verlangt deutliche Abstriche. Wenig Spannung, holprige Übersetzungen und ein so vertrautes wie unwürdiges Ende sind dabei die schwerwiegendsten Punkte auf der Mängelliste.
Der erste eigenständige TNG-Roman in Deutschland zählt daher nicht unbedingt zu den herausragenden Werken der Zunft und glänzt in erster Linie durch seine Produktionsdatum. Wirft man einen Blick hinter diese Fassade, macht sich rasch Ernüchterung breit.

Denkwürdige Zitate:

Ich bin nicht Ihre 'Imzadi', Commander.
Tasha Yar, S. 147

Bewertung: Vielleicht erster, aber bestenfalls Mittelmaß.

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3 Kommentare:

  1. Sehr schön.

    Der Plot mit dem Verschwinden von Data und Geordi klingt gut. Bei so einer Geschichte kann man viel über die Beziehung zwischen den Beiden erfahren. Hat deWeese denn die Gelegenheit genutzt?

    Alles in Allem klingt deine Beschreibung sehr nach den frühen Folgen von TNG. Wenn ich mir die heute anschaue, dann find ich die Folgen alle nicht mehr so gelungen. Da sind die Schauspielleistungen noch sehr soapig (bzw. dürftig) und die Geschichten wirken teilweise leicht "angestaubt". Da kann ich deine Bewertung durchaus nachvollziehen.

    Heutzutage ist man einfach in jeder Hinsicht viel bessere Qualität gewohnt - sowohl im TV- als auch im Buchbereich.

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  2. Moin Bernhard,

    die Chance, Datas und Geordis Beziehung zu vertiefen, nutzt deWeese leider nicht - obwohl ich zugeben muss, dass ich ihn da verstehe.
    Das, was er von TNG kennen konnte, hat die später so innige Beziehung bestenfalls erahnen lassen - da war besonders im Hinblick auf kommende Episoden und Staffeln nicht viel Platz zur Entfaltung kreativer Ideen.
    So 'soapt' auch dieser Handlungsstrang etwas vor sich hin, ohne eine knifflige, spannende oder wirklich erzählenswerte Geschichte zu produzieren...

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  3. Danke für diese wundervolle Erinnerung an ein schon vor vielen Jahren gelesenes Werk! Und wirklich, ich habe mich durch Deine Rezension wieder an meine damaligen Gefühle beim Lesen zurückerinnert. Aber ich muß auch sagen, ich habe die etwas "holprige" Art gemocht. Manchmal sind mir die heutigen Bücher ein wenig zu glatt, zu professionell. Natürlich ist die Qualität heute eine andere, aber die mich an "verbalen Slapstick" erinnernde Erzählweise fand ich doch auch ganz unterhaltsam.

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