Mittwoch, 2. Juni 2010

Der Abgrund

Buchbesprechung Lang, Jeffrey; Weddle, David: Der Abgrund. Cross Cult, 2001/2010.

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Story: Tief in den dunklen Dschungelwäldern eines kleinen Planeten innerhalb der Badlands hat sich ein durchgedrehter Augment verschanzt, um eine Armee von Jem'Hadar zu züchten, mit denen er die bekannte politische Ordnung in der Milchstraße gehörig auf den Kopf stellen will. Ein neuer Khan droht aus der eben erst erkalteten Asche der Dominionkriege zu steigen.
Aus diesem Grund setzt sich die berühmt berüchtigte Sektion 31 wieder einmal mit ihrem Ansprechpartner Nummer Eins zusammen: Dr. Julian Bashir.
Und der Plan geht auf: Kurz darauf starter ein Runabout in Richtung Badlands. Mit an Bord sind außer dem Experten für genetisch manipulierte Menschen außerdem auch seine Lebensabschnittsgefährtin Ezri Dax, die Sicherheitschefin Ro Laren und der Jem'Hadar-Austauschschüler Taran'atar.
Auf dem Planeten angekommen, oder besser gesagt 'abgestürzt', muss sich jeder der Passagiere einer eigenen Herausforderung stellen. Ro Laren fühlt sich für eine kleine Gruppe neozoener Technophober verantwortlich, die ihr hier einstmals das Leben retteten. Taran'atar hingegen sieht sich Dank der Menschen anbetenden Jem'Hadar des Planeten mit seinem Götterbild im Unreinen. Ezri fühlt, dass sich an Julian dunkle Seiten zeigen, derer sie zuvor nie gewahr wurde, während Dr. Bashir seinerseits im charismatischen Größenwahnsinnigen Locken jemanden findet, in dem er sich selbst wieder erkennt. Doch während ihn solche Zweifel plagen, muss Ezri entdecken, dass sich hinter dem sympathischen Äußeren Lockens ein skrupelloser Dr. Mengele verbirgt, dessen Vorstellungen von der eigenen Überlegenheit ihn zu grausamen Verbrechen animierten...

Lobenswerte Aspekte: Der dritte Band der Buch gewordenen achten Staffel Deep Space Nine muss sich vor seinen Vorgängern „Offenbarung, Buch Eins“ und „Offenbarung, Buch Zwei“ nicht verstecken. Ganz im Gegenteil!
Ich war eigentlich nie der große Fan dieser Serie, doch ihre Buchfortsetzung sucht bislang auf weiter Flur nach ihresgleichen. In diesem spannende Werk rückt Dr. Bashir in den Mittelpunkt und auch wenn diese Figur innerhalb der Serie nur allzu oft dadurch abschreckte, dass sie als zu hitzköpfig, überengagiert und juvenil dargestellt wurde, zeichnet sich innerhalb jener 270 Seiten ein völlig anderes Bild ab. Bashir wirkt nicht nur vom Rang (vgl. S. 22), sondern auch charakterlich gereift. Ungleich erwachsener und mit einer spannenden dunklen Seite versehen nimmt man ihm als Leser diesen Reifeprozess nicht nur dankbar ab, sondern kann seine Motive und Zweifel wirklich gut nachvollziehen. Vielleicht füllt Bashir diese kantige, fast schon traditionelle Männerrolle nur in Abwesenheit Siskos, O'Briens und Garaks aus, doch so weit die Beschreibungen es ermöglichten, erscheint er weniger als Platzhalter, denn als am Leben gewachsene Persönlichkeit, die man bis hier her in guten wie in schlechten Zeiten begleitet hat.
Doch auch die anderen Figuren glänzen in der Feder Langs. Angefangen bei etablierten Charakteren wie Kira Nerys, bis hin zu neu eingeführten Personen wie Commander Vaughn. Ganz besonders viel Feingefühl lässt sich bei den Konflikten feststellen, die zwischen den einzelnen Figuren aufgebaut, verstärkt oder weitergeführt werden: Vaughns Vaterschaftsprobleme mit Prynn Tenmei (vgl. S. 171ff und S. 195ff.) oder Kiras durch ihre gesellschaftliche Ausgrenzung entstandenen Komplikationen (vgl. S. 102ff. und S. 264ff.) sind nur zwei Beispiele für die gelungene Fortführung bereits eingeführter Reibungspunkte.
Besonders bemerkenswert ist jedoch vor allem anderen die Abkehr vom klassischen Feindbild in diesem Roman. Während die TNG-Fortsetzung etwa in „Widerstand“ noch mit den Borg einen hinlänglich bekannten Feind aus der Mottenkiste kramt, um mit altgewohntem Schrecken bei der Leserschaft zu punkten, gehen Lang und Weddle ungleich behutsamer vor: Auch wenn die Jem'Hadar nicht aus dem Roman wegzudenken sind, nimmt Sektion 31 hier den Part des Hauptwidersachers ein. Dabei schaffen die Autoren das Kunststück, die größtenteils im Verborgenen arbeitende Geheimorganisation als reelle Bedrohung für die Föderation aufzubauen. Ein spannendes und zugleich subtiles Feindbild, das außerdem nicht nur die dunklen Seiten Bashirs, sondern auch die der Föderation ans Tageslicht befördert.
Der Hauptbösewicht, Dr. Ethan Locken ist vielleicht kein Khan im klassischen dramaturgischen Sinne, doch als Kontrahent irgendwo zwischen fehlgeleitetem Prometheus und Rassenwahnfanatiker eine willkommene Abwechslung in der Riege der Erzschufte, wobei besonders die Ambivalenz zwischen seinem sympathischem Auftreten und seinen abscheulichen Taten einen ganz besonderen Reiz hat.
Obwohl es in den neuen Romanserien längst zum üblichen Standard gehört, sei auch die Einbettung des Geschehens in den größeren Star-Trek-Kontext lobend erwähnt. Egal, ob es um Khan und die Auswirkungen seiner Epoche geht (vgl. S. 25), Bashirs Abstürze aufgezählt werden (vgl. S. 137) oder Vilix'pran nebenbei erwähnt wird (vgl. S. 146): Die Vielzahl an Querbezügen auf die Serie ist enorm. Eindrucksvoll zeigen die Autoren dabei, dass der Wust an Informationen, die mittlerweile elf Kinofilme, sechs Serien und unzählige Bücher umfassen, nicht unbedingt ein Fluch, sondern eine Bereicherung sein kann. Ganz besonders dann, wenn sie Informationen aus der Serie in einen neuen Kontext setzen. Das Handeln Admiral Doughertys in Star Trek IX mit Sektion 31 zu verbinden (vgl. S. 263) ist jedenfalls ebenso clever, wie die Evolution der Gründer durch gezielte genetische Manipulation zu erklären (vgl. S. 148.).
Außerordentlich gelungen fand ich schließlich den Essay Julian Wanglers zum eigentlichen Widerspruch zwischen Fortschritt und gentechnischen Eingriffen zur Verbesserung der Menschheit, selbst wenn mir nicht ganz klar ist, warum man einen so guten deutschsprachigen Beitrag unbedingt mit einem englischsprachigen Titel versehen muss (vgl. S. 272ff.).

Kritikwürdige Aspekte: Die Freude über diesen außergewöhnlich gut gelungenen Roman wird lediglich durch das häufige Déjà-vu-Gefühl getrübt, das den Leser als ständiger Begleiter beschleicht. So will Locken kurz nach den Dominion-Kriegen schon wieder ein Virus einsetzen, um seinen übermächtigen Feinden den Garaus zu machen (vgl. S. 207ff.). Ähnlich verhält es sich mit der Machtbesessenheit genetisch verbesserter Menschen (vgl. S. 25), die bereits in Enterprise-Folgen wie „Grenzgebiet“, „Cold Station 12“ oder „Die Augments“ zur Genüge angeklungen ist. Als schließlich Bashir seine eigenen Klone entdeckt (vgl. S. 248ff.), fühlte ich mich an die TNG-Episode „Planet der Klone“ erinnert, in der auch Riker und Pulaskis DNA zur unfreiwilligen Replikation genutzt wurde – zumal Bashirs 'Entsorgungsvariante' der Rikers nicht unähnlich war.
Obwohl ich mich einerseits über das Wort „verfrinxten“ (S. 56) sehr freute, da es aus dem Buch „Die Mythen und Legenden der Ferengi“ (vgl. S. 22) stammte, erinnerten mich andererseits die affenähnlichen Ingavi irgendwie an die Neyel aus dem Titan-Roman „Der rote König“.
Doch die spannende und allen Wiedererkennungswerten trotzende Geschichte kann sich dennoch profilieren, nicht zuletzt deshalb, weil sie diesen Themen einen neuen Anstrich verpasst, der den Entwicklungen der vielen Serien, Filmen und Büchern durchaus gerecht wird.
Unrecht tut diesem Werk jedoch das Frontcover. Der zugunsten einer Ezri Tigan aus dem Spiegeluniversum aus dem Fokus genommene Bashir vor diesem fantasielosen Hintergrund lässt sich nur schwer mit dem Inhalt des Buches in Einklang bringen und ist darüber hinaus auch keine besondere Augenweide.

Übersetzung: Die Übersetzung aus der Feder Christian Humbergs glänzt mal wieder im Stil, auch wenn einige kleine Lapsus wie „T'Kumbra Logiker“ (S. 29), „Anlegestation“ (S. 61) und „Terraner“ (S. 85) hier und dort auftauchen. Schließlich sind Begriffe wie „Happy Hour“ (S. 114) oder „Firewall“ (S.158 ) nur schwer übertragbar und sie so zu belassen, wie es Humberg tat, ist sicherlich der goldene Mittelweg, den die Übersetzung als Kompromiss zum starken Einfluss des Englischen auf unsere Sprache eingehen muss.

Anachronismen: Shars Verwunderung darüber, dass Commander Vaughn seine auf andorianisch vorgetragenen Flüche versteht (vgl. S. 12) mutet merkwürdig an, da gerade er als Wissenschaftsoffizier wissen sollte, welche Aufgabe Universalübersetzer haben. Seine Verwunderung für Nogs Meisterleistung, Empok Nor mit nur 9 Schiffen per Traktorstrahl UND Warp ins bajoranische System zu bringen (vgl. S. 14f.), ist da schon verständlicher. Warum hat denn die Föderation so etwas nicht in „Noch einmal Q“ mit dem Mond von Bre'el IV gemacht, um den drohenden Absturz zu verhindern?
Warum Jem'Hadar keine Raumanzüge benötigen sollten (vgl. S. 79), ist mir auch nicht so ganz klar. Bedeutet das etwa, dass in zerstörten Schiffen des Dominions noch immer überlebende Jem'Hadar existieren konnten? Warum wurde das in der Serie immer ausgespart? Hat die Sternenflotte etwa vertuschen wollen, dass sie ihren Gegnern absichtlich einen langen und grausamen Tod zumutet?
Ähnlich unbesorgt wie ein Jem'Hadar gibt sich auch Quark in diesem Buch. Hatte er nicht selbst in „Der Aufstieg“ nur mit Mühe einen Anschlag des Orion-Syndikats überlebt? Warum fraternisiert er so fröhlich wie unvorsichtig mit einem Orioner (vgl. S. 198f.)?
Was jedoch am meisten verwundert ist die angebliche direkte Nachbarschaft von Badlands und romulanischen Imperium (vgl. S. 62). Diese Angabe widerspricht allen gängigen Einschätzungen zur geografischen Lage des Reiches und wäre dem tatsächlich so, so wären die Romulaner während der Dominionkriege wirklich erstaunlich passiv geblieben.

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Da hilft auch kein Blick in den Sternenatlas: Ohne Na'vi ist man auf den Milchstraßen dieses Universums verloren

Fazit: Auf dem Buchrücken preisen Andrej und Florian Schwabe von startrek-index.de das Werk als einen „[...] der besten STAR TREK-Romane überhaupt.“. So unrecht haben die beiden damit nicht. Zwar gibt es durchaus einige Ungereimtheiten und mehrere Déjà-vu-Erlebnisse, doch im Großen und Ganzen ist dem Autorenpaar David Weddle und Jeffrey Lang hier ein ganz großer Wurf gelungen: Eine spannende, gut recherchierte und glänzend aufgebaute Geschichte, die Standards setzt und in eine neue Richtung weist. Der dritte Band der achten Staffel DS9 greift auf, was „Offenbarung“ ausmachte und setzt die Messlatte für folgende Romane hoch an.

Denkwürdige Zitate:

Schrecken besitzt immer strategischen Wert. Merken Sie sich das.
Cole, S. 27

Er war so ziemlich alles, was man sich von seinem Captain erhofft. Hart, aber fair. Hohen Idealen verpflichtet. Intelligent, nahezu mentorhaft, jedoch ohne belehrend zu sein. Oh, und was Wein angeht, ist er ein richtiger Snob.
Ro Laren über Captain Picard, S. 66

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Daran erkennt man den Weinsnob: Er gibt sich nicht mit kleinen Gläsern zufrieden und spreizt beim Genießen stilvoll den kleinen Finger ab

Etwas derart Lächerliches habe ich nie zuvor gehört. Nichts als leeres Geschwätz. Sie klingen wie der Bösewicht in der schlechtesten Schundliteratur, die je geschrieben wurde.
Bashir, S. 160

Bewertung: Große Klasse!

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Weiterführende Leselliste:

DS9, Staffel Acht, 01: Offenbarung, Buch 1
DS9, Staffel Acht, 02: Offenbarung, Buch 2
DS9, Staffel Acht, 03: Der Abgrund
DS9, Staffel Acht, 04: Dämonen der Luft und Finsternis
DS9, Staffel Acht, 05: Mission Gamma I: Zwielicht
DS9, Staffel Acht, 06: Mission Gamma II: Dieser Graue Geist

4 Kommentare:

  1. Ich habe bisher nur die Heyne-Version gelesen und die fand ich schon klasse.
    Okay, ich muss zugeben, dass ich ein Fan von Bashir bin, aber nicht nur deswegen mag ich das Buch.
    Ich muss die Cross Cult Version bald mal lesen.

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  2. Freut mich, dass dir der Roman auch so gut gefallen hat wie mir die Heyne-Version. Der Roman zählt doch ganz klar zu den besten Star Trek-Romanen überhaupt. Aber das ist vielleicht auch subjektiv, weil ich DS9 und die Beziehung Ezri / Bashir ohnehin am liebsten mag.

    Als ich den Roman damals gelesen hatte, tat ich das natürlich ohne "Offenbarung" vorher gelesen zu haben, weil die beiden Teile ja nicht auf Deutsch erschienen waren. Ich erinnere mich immer noch an meine Verwirrung wegen dem Abschnitt über Jake Siskos Verschwinden, den man ja nur verstehen kann, wenn man die ersten Romane auch kennt. Glücklicherweise kümmert sich Cross Cult ja nun um die Veröffentlichung und so wird sich wohl bald aufklären, was im Wurmloch mit Jake Sisko passiert ist.

    Gute Buchbesprechung. Mach weiter so.

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  3. Auch ich fand schon die Heyne-Version klasse, obwohl ich mir die fehlenden Vorkenntnisse mühsam zusammenreimen musste. Klar werde ich auch die Cross Cult-Variante lesen, denn wenn man "Offenbarung" schon kennt, macht es sicher noch viel mehr Spaß!

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  4. Da scheine ich ja der einzige zu sein, der de Heyne-Version noch nicht gelesen hat. Obwohl das jetzt natürlich eine spannende Kiste wäre, beide Verlage an ihren Produkten zu messen...

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