Sonntag, 23. August 2009

Die Beute der Romulaner

Buchbesprechung Hawke, Simon: Die Beute der Romulaner, Heyne 1993/1996.

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Story: Das Glück scheint sich an der Seite der Föderation pudelwohl zu fühlen. So oder zumindest so ähnlich müssen auch Picard und die Crew der USS Enterprise NCC-1701-D empfunden haben, als sie bei einer Routinepatrouille entlang der Romulanischen Neutralen Zone über den hilflos im All treibenden Prototypen einer neuen Warbirdreihe stolpern.
Die Besatzung des Raumschiffes ist tot, die Technik voll funktionsfähig und die Rechtslage eindeutig – das Schiff gehört den Findern. Nur die Gewissenbisse der Crew und das diplomatische Einfühlungsvermögen Picards verhindern, dass die Enterprise den wehlosen Kreuzer zu einer genauen Examination zur nächsten Sternenbasis abschleppt. Stattdessen begnügen sich die Brückenoffiziere einvernehmlich damit, lediglich die Datenbanken des Schiffes in den Hauptcomputer der Enterprise zu überspielen.
Doch schon bald entpuppt sich der vermeintliche Glücksfund als perfide Falle: Die romulanischen Besatzungsmitglieder erwachen plötzlich wieder zum Leben und das Flaggschiff der Sternenflotte wird im Handstreich genommen. Picard muss sich fortan als Gefangener mit Valak, einem jungen und ambitionierten romulanischen Subcommander auseinandersetzen, der die gesamte Aktion bis ins kleinste Detail geplant hat und nichts dem Zufall überlassen will. Die Crew wird rigoros überwacht und teilweise auf das Schiff der Romulaner verlegt, so dass eine Befreiung absolut unmöglich erscheint.
Doch bevor Valak zusammen mit seiner Beute die triumphale Rückkehr in das Romulanische Sternenimperium antreten kann, will er einem weiteren Rätsel auf den Grund gehen. Der inmitten der Neutralen Zone liegende Planet Hermeticus II ist von der Sternenflotte mit einem Mantel aus Geheimnissen umhüllt. Nur wenig ist über den unbewohnbaren Planeten bekannt, außer, dass eine Quarantäne über ihn verhängt wurde. Klar, dass dies bei den Romulanern auf Argwohn stößt, und daher befiehlt Valak beide Schiffe dorthin, um einer dort vermuteten geheimen Föderationsbasis den Garaus zu machen.
Und tatsächlich ist das erste, was sich im Orbit von Hermiticus II orten lässt, ein Schiff der Föderation! Obwohl das Schiff der Constitution-Klasse über keinerlei Energieanzeigen mehr verfügt lässt sich das Misstrauen Valaks nicht aufweichen, zumal der romulanische Commander schon bald erkennt, dass der Planet innen hohl und bewohnbar ist. Als sich Valak schließlich entscheidet, zusammen mit Picard hinunterzubeamen, ist er sich noch nicht bewusst, dass er diesen Planeten nicht mehr verlassen wird…

Lobenswerte Aspekte: Dieses spannende Buch lebt lange Zeit von der Interaktion seines Hauptbösewichts, dem kalten und berechnenden Romulaner Valak mit der Sternenflottenlegende Jean-Luc Picard. Valaks Mischung aus ehrgeizigem Jäger und selbstverliebtem Emporkömmling lässt vor dem geistigen Auge des geneigten Lesers einen glaubwürdigen Gegenspieler entstehen, der bis zu einem gewissen Punkt eindrucksvoll einen dem Captain der Enterprise ebenbürtigen Widersacher mimt. Tatsächlich schafft es der Autor Simon Hawke, dem Charakter so abstoßende Elemente beizufügen, dass die Figur rasch als unangenehm empfunden werden kann.
Auch sein Vorgehen erscheint streckenweise losgelöst von den vielen pro-forma-Bösewichtern der Star-Trek-Geschichte, denn im Gegensatz zu vielen anderen Fieslingen wie Silik, Kudak’Etan oder Cullah lässt er bei der Übernahme des Schiffes Verstand walten und separiert die Crew in zwei Gruppen: diejenigen, die für den reibungslosen Betrieb an Bord unbedingt notwendig sind und die Mütter, Kinder und sonstigen ‚nutzlosen’ Personen. Während erstere an Bord verbleiben dürfen, müssen zweitere als Geiseln auf dem romulanischen Schiff ausharren. Da stellt sich mir nur eine Frage:
Warum ist eigentlich noch nie jemand zuvor darauf gekommen?
Daneben ist positiv hervorzuheben, wie einfühlsam Hawke auch noch kommende Serienereignisse zu antizipieren vermag. Obwohl sein Roman erst 1993 erschien, verleiht er Riker eine Aversion gegen Geheimdienstoffiziere (vgl. S. 91), wie sie im Fernsehen erst in der Episode „Das Pegasus-Projekt“ auftrat.
Daneben referiert der Autor ebenfalls auf andere Episoden, wie etwa „Fähnrich Ro“ (S. 33) „Soongs Vermächtnis“ (S. 62) oder „Datas Tag“ (S. 81). Selbst die Tatsache, dass der Erdexperte Valak ausgerechnet Mark Twain, dem Picard im zweiteiligen Staffelcliffhanger „Gefahr aus dem 19. Jahrhundert“ bereits persönlich begegnete, zitierte (S. 69), kann man ohne weiteres der Fachkenntnis Hawkes zurechnen. Dieses Expertentum reicht sogar soweit, dass er korrekt wiedergeben kann, das wie vielfache der Lichtgeschwindigkeit Warp 9,6 ist (S. 25)!
Doch damit nicht genug! Obwohl mich die Idee des ausgehöhlten Planeten Hermeticus II im ersten Moment abwegigerweise an die Dysonsphäre aus „Besuch von der alten Enterprise“ erinnerte, schlägt Hawke eine andere Brücke: er bringt das Konzept mit der vom Physiker Gerard O’Neill entwickelten Idee für autark funktionierende Weltraumkolonien in Verbindung (S. 169). Was sich auf den ersten Blick sicherlich als ein Musterbeispiel für Berücksichtigung anderer Science-Fiction-Literaten liest, wirkt auf den zweiten ungleich prophetischer. Spätestens seit dem 2003 (leider nur in Amerika) erschienenen Star Trek Roman „The Sundered“ ist diese Idee nämlich ein fester Bestandteil des serieneigenen Bücherkosmos’ geworden, zumal die Autoren Michael Martin und Andy Mangels dieser Idee durch ihre Verfassertätigkeit an „Der Rote König“, dem zweiten Teil der Titan-Saga, zusätzliches Gewicht verliehen.
Es ist also kein Wunder, dass die hellsichtigen Träume Picards auch auf den Roman abfärben…

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Dysonssphäre oder nicht Dysonssphäre? Das ist hier die Frage...

Kritikwürdige Aspekte: Bei allem Lob für den romulanischen Kommandanten Valak muss eines an seiner Figur von mir arg kritisiert werden: So stark und unbesiegbar er zu Beginn der Geschichte wirkt, so schwach und armselig erscheint er an ihrem Ende. Mal ganz abgesehen davon, dass dies in der Intention des Autors lag, ist dieser Sprung viel zu krass und unglaubwürdig gezeichnet, um nachvollziehbar zu sein. Und Stickwort Nachvollziehbarkeit: Der Plan der Romulaner, sich mittels Drogen in den Scheintod zu versetzen, die Lebenserhaltungssysteme auszuschalten und nach einer bestimmten Zeit wieder aufzuwachen, ist gelinde gesagt hirnrissig. Was wäre, wenn diese Systeme erst eine Stunde später aktiviert worden wären? Was, wenn das Schiff erst einen Tag später gefunden worden wäre? Dass die Romulaner bei so einem Plan das Leben ihrer Soldaten aufs Spiel setzen mag ich ja noch glauben, aber der Prototyp einer ganzen Warbirdklasse ist dann doch ein zu hoher Einsatz, selbst für den Prätor des Sternenimperiums.
Während der Trend bei Valak eindeutig nach unten zeigt, ist es bei Picard genau andersherum. Am Beginn der Geschichte wirkt er schwach, wenig vorausblickend und merkwürdig passiv. Erst gegen Ende präsentiert sich als der souveräne Captain, den man aus Film und Fernsehen gewohnt ist. Doch auch seine Crew ist während dieses Abenteuers eindeutig neben der Spur. Dr. Crusher ist scheinbar zu doof, um eine künstlich herbeigeführte Lebensfunktionsminderung von einem Erstickungstod zu unterscheiden und Rikers Plan, sich Waffen durch einen Weltraumspaziergang zu einem anderen Schiff zu besorgen, ist ebenso waghalsig wie unnötig. Wenn man schon in den Innereien der Enterprise herumtigert, ist es wohl sinnvoller, heimlich eines der schiffseigenen Arsenale zu erreichen! Und warum nutzt eigentlich keiner der Offiziere den Phaser, der in seinem Quartier herumliegen müsste (vgl. „Traumanalyse“)?
Doch damit nicht genug. Wer den unsäglich kitschig-unrealistischen Ausbruchsversuch der auf dem romulanischen Warbird gefangenen Besatzungsmitglieder gelesen hat, wird meine oft wiederholte Frage nach Nachvollziehbarkeit verstehen. Auch das Ende, das der Crew glücklicherweise eine lebenslange Internierung auf Hermeticus II erspart, wirkt an den Haaren herbeigezogen. Zum Glück reichen den mächtigen Ambimorphen nämlich die Menschen, die sich bereits in ihrem Planetenzoo befinden aus, so dass sie auf Sonderexponate wie einen Androiden, einen Klingonen oder einen Franzosen verzichten können. Überhaupt wirken die Superwesen wie eine Mischung aus den Metronen und Formwandlern, zumal die Vergleich der Erscheinungsformen der Wesen mit „Protoplasma“ (S. 290) bemerkenswerte Parallelen zur Darstellung Odos im fünften Starfleet-Kadetten-Band „Das Sternengespenst“ (vgl. dort S. 34) aufweist. Und formwandeln können sie natürlich auch - egal ob die Gestalt Menschen, Romulanern oder einer Straßenbeleuchtung entspricht. So oder so scheint die Unterwanderung der Föderation durch formwandelnde Geschöpfe eine beliebte Freizeitgestaltungsmöglichkeit für außerirdische Spezies zu sein.
Obwohl Hawke sich mit der Beschreibung des Verhältnisses von Warp zu Lichtgeschwindigkeit gut informierte, haperte es dafür an anderen Stellen. Am auffälligsten ist sicherlich die Beschreibung des Planeten Hermeticus II. Der Planet der H-Klasse (ich bezweifle allerdings, dass das ‚H’, wie auf S. 87 behauptet, für ‚Hermeticus’ steht) soll sich nämlich im Deltaquadranten befinden (S. 84)! Nicht nur, dass die Romulanische Neutrale Zone nicht soweit reichen dürfte, es sollte auch sehr schwierig und zeitaufwändig sein, dorthin zu gelangen, zumal die Crew der Voyager knappe 70 Jahre für ihren Weg veranschlagte...
Die Übersetzung ist ein übliches Kind des Heyne-Verlags. „Starfleet“ (S. 15) statt „Sternenflotte“, „Kriegsschwalbe“ (S. 40) statt „Warbird“ oder „Gelbalarm“ (S. 45) statt „gelber Alarm“ zeugen von der Ignoranz gegenüber der gängigen Fernsehübersetzung. Wenige Rechtschreibfehler (z.B. S. 184 „Im wesentlich“) werden von einem großen Fehler überschattet: den „Außenschotten“ (z.B. S. 207). Entgegen der gängigen Pluralform ‚Schotts’ entschied man sich hier für eine an den Volksstamm erinnernden Mehrzahl, die immerhin einen gewissen Schmunzelfaktor bietet.
Abschließend sollte noch über etwas geschimpft werden, mit dem das Lesen dieses Buches üblicherweise begonnen wird. Das Cover ist eines der so ziemlich furchterregendsten, die ich bislang gesehen habe, und warum dem Prototyp der D’Kazanak-Klasse zum Trotz ein Warbird der D’deridex darauf verewigt wurde, ist mir schleierhaft. Auch der beringte Planet lässt sich nicht mit der Darstellung von Hermeticus II vereinbaren und der eindringliche Blick der Person, die wohl Valak darstellen soll, gehört nicht unbedingt zu den ganz großen Aufmachern der Star-Trek-Bücher-Chronologie. Tatsächlich ist diese künstlerische Interpretation ein guter Grund dafür dankbar zu sein, dass Bücher im Regal nur den Rücken präsentieren.

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Vorsicht! Diese Straßenbeleuchtung könnte ambimorph sein...

Anachronismen: Der Roman bot die einzigartige Chance, eine nähere Betrachtung der Romulaner und ihrer Gesellschaft zu bieten. Doch dieser Aufgabe wurde der Autor Simon Hawke kaum gerecht. In der Tat wurden seine Angaben rasch eingeholt und viele seiner Angaben stoßen daher beim Lesen unangenehm auf.
So behauptet er, dass für den Prätor der Ehrentitel „Lord“ zur Ansprache genutzt werden muss (S. 19). Ich persönlich kann mich nicht erinnern, dass Shinzon im zehnten Kinofilm "Nemesis" entsprechend tituliert wurde, doch wer weiß; vielleicht verzichtete man darauf, weil er Mensch und außerdem Repräsentant der Remaner war. Definitiv falsch ist jedoch, den 'Romulanischen Senat', als der er in „Die Aenar“, „"Das Gesicht des Feindes“, „Unter Waffen schweigen die Gesetze“ oder „Das Nadelöhr“ übereinstimmend bezeichnet wird, in Anlehnung an die gemeinsamen vulkanischen Wurzeln als „Hohen Rat“ zu deklarieren.
Außerdem ist es nicht wahr, dass seit dem Waffenstillstandsvertrag von 2160 keinerlei Verträge mehr zwischen der Föderation und dem Sternenimperium geschlossen wurden. Abgesehen davon, dass ein solcher Schwebezustand bereits an sich unglaubwürdig klingt, wird in der TNG-Episode „Das Pegasus-Projekt“ mit dem 2311 geschlossenen Vertrag von Algeron ein eindringlicher Gegenbeweis geliefert.
Anachronistisch mutet auch die auf S. 265 angesprochene Scheu der Romulaner an, die eigenen Leute opfern. Wie man im Zweiteiler „Wiedervereinigung“ deutlich sehen kann, sind die entfernten Verwandten der Vulkanier entgegen der im Buch erbrachten Behauptungen sehr wohl bereit, auch auf Mitglieder der eigenen Spezies zu schießen.
Neben der verkorksten Darstellung der Romulaner schafft es der Autor ebenfalls, auch die Sternenflottendarstellung zu verpatzen. So ist Worf nicht, wie behauptet, Lieutenant Commander, denn diesen Rang erhält er erst im siebenten Kinofilm „Treffen der Generationen.
Der gröbste Fehler liegt meiner Ansicht nach jedoch in der Miteinbeziehung der USS Independence, eines Schiffes der Constitution-Klasse. Dieser Raumschifftyp, dessen bekannteste Vertreter sicherlich die USS Enterprise NCC-1701 und die USS Enterprise NCC-1701-A gehören, soll vor erst dreißig Jahren außer Dienst gestellt worden sein. Geht man von der Annahme aus, dass die Geschehnisse um 2368 spielen, wären noch 2238 Schiffe dieser Reihe im aktiven Dienst gewesen. Dies wiederum widerspricht den Ereignissen des sechsten Kinofilms „Das unentdeckte Land“, in dem die Enterprise wegen ihres hohen Alters außer Dienst gestellt werden sollte. Es wäre günstiger gewesen, der Autor hätte sich hier eines Schiffes der Excelsior- oder Ambassador-Klasse bedient, um unnötige Verzerrungen der ohnehin schon viel zu oft strapazierten Star-Trek-Zeitlinie zu vermeiden und damit sein eigenes Werk selbst zu degradieren.

Fazit: „Die Beute der Romulaner“ ist ein Roman mit vielen Schwächen. Die Geschichte strotzt vor Schlaglöchern, die Figuren sind nicht konsequent gezeichnet und viele Schilderungen offenbaren bestenfalls Halbwissen auf Seiten des Autors. Selbst das Buchcover spricht nicht unbedingt eine Leseempfehlung aus.
Die Stärken dieses Romans liegen anderweitig verborgen und es heißt nicht umsonst, dass man ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen soll (frei nach „The Rocky Horror Picture Show“). Die – allen Widrigkeiten zum Trotz - spannende Geschichte liest sich gut und Hawkes geradezu hellseherischen Ideen sind für den aufmerksamen Leser sicherlich eine nähere Beschäftigung wert.

Denkwürdige Zitate:

Man kann nicht einmal einem toten Romulaner über den Weg trauen.
Riker, S. 93

Ich habe Ihnen bereits gesagt, Picard, daß ich keine übernatürlichen Erklärungen akzeptieren werde
Das gleiche gilt für mich. Eine hochentwickelte Wissenschaft wird allerdings jedem übernatürlich erscheinen, der sie nicht versteht
Ich glaube, das genaue Zitat lautet: >Jede Technologie, die einigermaßen fortgeschritten ist, dürfte denen, die sie nicht verstehen, wie Magie vorkommen.<. Arthur C. Clarke, ein Philosoph und Wissenschaftler von der Erde
Gibt es überhaupt keine romulanischen Sprichworte, die Sie zitieren könnten?
Valak und Picard, S. 133

Im Gegensatz zu euch Faulpelzen auf der Brücke haben wir im Maschinenraum kaum Gelegenheit dazu, Fett anzusetzen, weil wir ständig arbeiten müssen.
Klar, wir sitzen nur gelangweilt rum und spielen Computerspiele auf dem Hauptbildschirm.
LaForge und Riker, S. 238

Bewertung: Ein Roman zwischen präkognitiven Erkenntnissen und konzeptionellen Engpässen.

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2 Kommentare:

  1. Sehr gut und ausführlich geschrieben!

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  2. Tolle Rezension!
    Also ich kann dir bei Valak nur zustimmen. Zunächst faszinierte mich der Charakter extrem und im letzten drittel des Buches fiel meine Sympathie exponentiell.

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