Samstag, 4. April 2009

Ketten der Gewalt

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Buchbesprechung: Flood, Eloise; McCay, Bill: Ketten der Gewalt. Heyne, 1992.

Story:In einer lebensfeindlichen Ecke der Galaxie stößt die Crew der USS Enterprise NCC-1701-D plötzlich auf einen eisigen Außenposten, auf dem zu ihrer großen Überraschung Menschen leben. Es stellt sich heraus, dass sie vor knapp 300 Jahren die Erde verließen und nun Sklaven einer übermächtigen Vogelrasse namens „Tseetsk“ sind, deren Technologie die der Föderation bei weitem übersteigt. Doch mit der Ankunft des Sternenflottenraumschiffes erheben sich die Menschen auf dem Planeten gegen ihre Unterdrücker. Nur mit Müh und Not gelingt es der Crew um Captain Picard, das Leben Draaghs, der Regentin des Planeten, zu retten. Doch die Situation steht kurz vor der Eskalation: Schiffe der fremden Rasse sind bereits unterwegs, um den Aufstand der Menschen brutal niederzuschlagen und zu allem Überfluss entführen die unzivilisierten Menschen auf der Planetenoberfläche auch noch Picard und Troi, um sie in den Katakomben ihrer Welt als Geiseln festzuhalten. Doch in den düsteren Gängen lauert ein drittes Volk, dass Menschen wie Tseetsk als Feinde betrachtet….

Lobenswerte Aspekte: Schon allein der Titel „Ketten der Gewalt“ ist sehr gut gewählt, und die vielen Parallelen zwischen Sternenflottenmenschen, Menschensklaven, Sree-Tseetsk und Kraaxaa-Tseetsk weisen eindeutig darauf hin, das dieses Werk sorgfältig konzipiert wurde.
Die detailliert beschriebenen Vorbereitungen für Außenmissionen waren ebenso logisch wie nachvollziehbar und Datas Analysen gleichen den viel zu oft unterbrochenen Redeschwällen aus TNG. In bester Star-Trek-Tradition sterben Redshirts auf einer Außenmission.
Eines fand ich an diesem Buch besonders genial: Die Beschreibung der Tseetsk, als klein, gelb-gefiedert und sich ständig aufplusternd erinnerte mich stark meinen Wellensittich Piepsi, der mich durch einen großen Teil meiner Jugend begleitete. Andererseits erinnern mich auch die in TAS kurzzeitig auftretenden Aurelianer und Skorr, die ebenfalls Vögel und gelb waren, an diesen kleinen sprachbegabten Racker. Natürlich wird TAS nicht von jedem als Kanon gezählt, aber umso schöner ist es, dass auf die Aurelianer tatsächlich näher eingegangen wird.

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Archivaufnahme aus einer Zeit, als auf der Erde die Eugenischen Kriege toben: Ein aggressiver Tseetsk (l.) versklavt gerade einen faulen Erdling (r.)

Nahezu prophetisch beschreibt Riker: „Einer de ersten Fremdkontakte der Erde fand mit den Klingonen statt […]“ (S. 157). Das ist zwar jeder aufmerksamen Fernseheule bekannt, die auch fleißig den ENT-Piloten „Aufbruch ins Unbekannte“ gesehen hat (oder den Leseratten, die bereits fleißig das von mir rezensierte Buch „Aufbruch ins Unbekannte“ lasen), aber in einer Zeit, in der die „ Offizielle Star Trek Chronologie“ von Michael und Denise Okuda diesen Kontakt auf das frühe 23. Jahrhundert legte, ist das schon recht außergewöhnlich.
Stichwort Chronologie: Der kleine Lorens Ben erinnert mich irgendwie an ein düsteres Kapitel der Erdenvergangenheit, denn dass der Bursche seinen eigenen Vater verrät, einen selbstmörderischen Anschlag auf Fremde ausführt und so bedingungslos an Koban, den Führer der Sklaven glaubt, lässt durchaus an einen verblendeten Hitlerjungen denken. Ich finde, dass dies in einer so verrohten Gesellschaft wie der der Menschensklaven durchaus nachvollziehbar ist.
Als sehr unterhaltsam empfand ich schließlich die Namenswelt. Die verschliffenen aber dennoch halbwegs vertraut wirkenden Namen der Menschen wirkten wie das logische Produkt der Aussprache jener Wörter durch ein Volk von Vögeln. Ihre Trällerlaute und lautlichen Schwierigkeiten bei gewissen menschlichen Buchstaben konnten nur in einer so fremdartigen und abweichenden Weise münden, wie sie im Buch beschrieben worden ist. Auch wenn die Vogelnamen zum Teil etwas schwer auszusprechen waren, waren auch sie erkennbar vom Gedanken einer Zwitschersprache getragen und sobald Draagh beginnt, englisch bzw. deutsch zu sprechen, kann sich jeder Vogelhalter dies lebhaft vorstellen.

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erfahrene Sittichhalter kennen die Geheimnisse der Tseetsk-Sprache

Kritikwürdige Aspekte: Habe ich mich eigentlich jemals über die vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler beschwert, die in den verschiedenen Star-Trek-Büchern immer wieder auftauchen? Ja? Das war natürlich gemein von mir. Natürlich nerven so kleine Fehler wie im Satz „Sie haben uns vorgeschlagen, die Kuppel so flach zu konstruieren, damit der Wind keine Angriffsfläche hat.“ (S. 147) ab und zu. Aber steckt vielleicht ein tieferer Plan hinter dem Wirken des Übersetzers? Ich bin langsam wirklich überzeugt davon! Der Übersetzer Horst Pukallus für seinen Teil muss einfach an die Befreiung der deutschen Sprache aus ihrem engen Korsett der Unkreativität ihrer Sprecher gedacht haben, als er für uns brandneue deutsche Wörter wie „desaktivierte“ (S. 6), „Düsternis“ (S. 25), „Bangigkeit“ (S. 76) „wintrige Helligkeit“ (S. 86) oder „Erreichung“ (S. 156) erfand! Oder konnte er in Wirklichkeit gar nichts für vermeintliche Genusfehler, die nur in meinen preußisch-geprägten Gehörgängen komisch klingen? Sind „die Counselor“ (S. 43), „das Präfix“ (S. 248) oder „das Sims“(S. 198) nur für Nordmänner wie mich so gewöhnungsbedürftig? Pokallus scheint sprachlich jedenfalls alpennah sozialisiert worden zu sein – genau wie der vulkanische Doktor Selar, die den verletzten juvenilen Hauptprotagonisten nicht etwa als „Kind“, „Jungen“ oder gar „Knaben“ tituliert, sondern ihn als „Buben“ (S. 207) bezeichnet! Nun ist mir jedenfalls klar, warum mir die Vulkanier oft konservativ, arrogant und sturköpfig vorkamen – sie sind sozusagen die Weltraumbayern!
Doch obwohl man in Ulm, um Ulm und um Ulm herum (ja ich weiß, Ulm liegt noch knapp in Baden-Württemberg) im Gegensatz zu meiner Heimat stets Westfernsehen empfangen hat, vermeidet es der Übersetzer geschickt, die gängigen deutschen Bezeichnungen „Kommunikator“, „Sternenflotte“, „Crewman“ und „Zehn Vorne“ statt der unsinnigen Bezeichnungen „Insignienkommunikator“ (S. 17), „Starfleet“ (S. 42), „Unteroffizier“ (S. 5) oder gar „Gesellschaftsraum des zehnten Vorderdecks“ (S. 12) zu verwenden. Darüber hinaus schafft er es sogar, Begriffe wie „Fremdrasse“ (S. 54), „Terrestrier“ oder die bereits zuvor angesprochenen Medo-Konstruktionen (Medo-Gruppe S. 81, Medo-Techniker S. 208, Medo-Team S. 207, Medo-Konsole S. 207, uvm.) einzuflechten, die in der Serie tunlichst vermieden werden. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich Pokallus mit der Materie Star Trek in etwa so gut auskannte wie Andy Möller sich in Geografie („Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“) verschafft uns die Redeweise von Autoritätspersonen wie Picard oder Riker. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass diese beiden auf Begriffe wie „Bruchbude“ (S. 136) oder „verdünnisieren“ (S. 278) nutzen – denn das klingt nicht gerade nach Sternenflottenjargon. Dass Offiziere wie Rebellen sich im einen Moment mal duzen, nur um kurz darauf wieder mit dem Siezen anzufangen, trägt zur zusätzlichen Verwirrung bei, denn ein logisches Muster gibt es, entgegen anfänglicher Vermutungen, dabei nicht.
Geradezu niedlich fand ich zuweilen die Wortwahl: Egal ob CrushersMedo-Techniker sie „anrufen“ (S. 208) muss, diese Dateien von ihrem Bildschirm „löschte“ (ebd.) oder Picard seine „kalten kleinen Äuglein“ (S. 21) aufreißt – der antiquierte Sprachgebrauch lässt sogar auf ein bestimmtes Alter des Übersetzers schließen.
Daneben gibt es natürlich auch Fehler, für die nicht einmal ältere Übersetzer aus Süddeutschland verantwortlich gemacht werden können. So sind manche Bezeichnungen recht gewöhnungsbedürftig. Natürlich muss eine Vogelsprache fremdartig klingen, aber warum ausgerechnet „Tseetsk“? Da ist es kein Wunder, dass dieses Wort prompt auf dem Buchrücken falsch geschrieben wurde. Damit kann man sich natürlich arrangieren, aber dass die Heimatwelt der Menschensklaven den Eigennamen „Basis“ trägt, ist dem Leseverständnis nicht unbedingt zuträglich.
Als Commander Riker auf Seite 138 meint, „Es gibt so viele Ungereimtheiten.“ – hat er absolut recht. Wie zum Beispiel kann Picard den Begriff „Kraxaa“ schon gehört haben? Er war doch überhaupt nicht dabei, als Data Riker darüber berichtete! Und woher haben die primitiven Höhlenbewohner dieser Eiswelt Holzpfeile? Warum müssen Riker und sein Außentrupp nach ihrem Einsatz eigentlich in die Dekontamination und Quarantäneabteilung? Sind die Biofilter ausgefallen? Wenn ja, sind sie auf jeden Fall nicht das einzige Bordsystem. Der Universalübersetzer muss auch fehlerhaft funktionieren, wenn ein armes Vogelwesen auf der Brücke gezwungen ist, englisch zu reden, um sich zu verständigen.
Das Hauptproblem liegt allerdings bereits in der Konzeption des Romans. Es ist SCHON WIEDER ein Roman über Erdbewohner, die vor der Erfindung des Warpantriebes ihre Heimat verließen. Manchmal kann man echt den Eindruck gewinnen, als seien Menschen der Nabel des Universums! Egal ob Indianer, Augments, Chinesen, Cowboys oder die 37er – Menschen scheint es überall im Weltraum zu geben. Sie sind „Die Ratten des Universums“ – kann ich nur dazu sagen. Darüber hinaus sind Menschen SCHON WIEDER Sklaven eines mächtigeren Volkes, eine Geschichte, die in der Milchstraße irgendwann mal Mode gewesen sein muss. Auch wenn die Verpackung etwas variiert: besondere Originalität geht sicherlich nicht von diesem Werk aus und alte Star-Trek-Hasen, die neue Ideen und frische Innovationen vom Lesen eines Romans erwarten, werden herb enttäuscht.
Schließlich muss auch noch bemerkt werden, dass die Charaktere in vielen Situationen unglaubwürdig wirken. So hatte ich beispielsweise manchmal den Eindruck, dass sich Riker und Picard jeden Moment prügeln könnten, denn die Unstimmigkeiten zwischen beiden hatten nichts mit dem Respektverhältnis zwischen beiden, wie man es aus TNG gewohnt ist, zu tun. Auch die Protagonisten Koban und Lorens Ben wirkten in ihrer Charakterwandlung völlig überstürzt. Dass man Crusher SCHON WIEDER in die Mutterrolle drängt, sei nur am Rande erwähnt.

Anachronismen: Die Geschichte ist nicht angelegt, um große Verzerrungen zu provozieren. Abgesehen von den bereits genannten, kleineren technischen Fehlschlüssen gibt es nur einen Kommentar, mit dem sich der Autor weit aus dem Fenster lehnt:
Keinem Föderationswissenschaftler ist es je gelungen, irgend etwas zu bauen, das mit Tachyonen funktioniert hätte.“ (S. 49). Das hört sich an, als ob Tachyonen etwas furchtbar gefährliches sind, von dem man besser die Finger lässt. Schließlich legt es für eine ganze Weile einige der wichtigsten Schiffssysteme der Enterprise lahm.
Das hindert die Crew natürlich nicht daran, im TNG-Zweiteiler „Kampf um das Klingonische Reich“ ein Tachyonengitter zum Aufspüren getarnter romulanischer Schiffe zu nutzen. Im Serienfinale „Gestern, Heute, Morgen“ nutzt Data sogar die Deflektoren, um einen umgekehrten Tachyonenimpuls zu senden. In Star Trek IX benutzen Worf und Picard einen Tachyonenbeschuss, um den Renegaten Data zu zwingen, seine Schilde neu zu modulieren.

Fazit: Der Roman „Ketten der Gewalt“ singt das alte Lied einer versprengten menschlichen Population, die nicht nur vor dem Warpflug ins All aufbrach, sondern auch noch grausam versklavt und unterjocht wurde.
Er ist geschickt angelegt und mit einem bunten und spannenden Rahmen versehen, aber es bleibt das alte Lied. Dass Rechtschreib- und Grammatikfehler neben Figurenschwächen und Ungereimtheiten auch noch die Melodie dieses Oldies verzerren, macht das Ganze nicht unbedingt besser. Wer vom Lesen dieses Romans frischen Wind erwartet, sollte besser die Finger davon lassen.

Denkwürdige Zitate:

Vierzig? […] Das ist ja wirklich verdammt alt.“ Cmdr. William T. Riker, S. 150

Das ist mir klar. Wir haben es mit einem Gehirn zu tun. Es ist nicht so, als ob man einen Computerfehler sucht. Eher so, als sollte man aus einem Topf Spaghetti eine einzelne Nudel herausziehen, ohne den Topf oder den Inhalt zu bewegen." Dr. Beverly Crusher, S. 207

Das kann ich nicht sagen. Aber ich spüre Hass [...] Und ein Lechzen nach TodUnserem Tod!“, Counselor Deanna Troi, S. 220

Bewertung: Ein altes Lied mit schräger Melodie.

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1 Kommentar:

  1. Was für ein geiler Blog!!! Habe selbst etwa 200 Star Trek-Romane zu Hause - die meisten natürlich gelesen :-) Ketten der Gewalt war mein erster Roman - und es grenzt an ein Wunder, habe ich mich von diesem Werk damals nicht abschrecken lassen. Für mich der schwächste aller TNG-Romane.

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